Bochum. Seit elf Monaten wohnt Alfred Grutsch (78) in einem Container in Bochum-Hamme. Jetzt soll der schwerkranke Rentner bis zum Samstag (30.11.) raus.
Alfred Grutsch (78) ist verzweifelt. Seit elf Monaten lebt der schwerkranke Rentner in einem Baucontainer an der Gahlenschen Straße im Stadtteil Hamme – weil sein altes Zuhause abgerissen wurde und seine künftige Wohnung noch nicht fertig ist. Nun hat ihm sein Vermieter gekündigt. Bis Samstag (30.) soll er den Container verlassen.
Schwer ist der Schritt des Seniors, als er die Tür des Metallcontainers öffnet, über dem „Büro“ steht, an dessen Tür aber auch seit elf Monaten ein Zettel mit dem Namen des Bewohners klebt. Vor der Eingangstür steht ein Rollator. Die Zweiraum-Unterkunft mit Nasszelle in einem Raum ist vollgestopft mit Möbeln, auf dem Boden stehen zwei Dutzend weiße Flaschen. „Das ist mein Essen. Astronautenkost. Etwas anderes kann ich nicht zu mir nehmen“, sagt der Rentner. Herzinfarkt, Krebserkrankung. Die vergangenen Jahre waren nicht einfach für den früheren Bergmann und Gleisbauer, der immer in Hamme gelebt hat und von dort auch nicht wegziehen möchte. „Hier ist doch alles“, sagt er. „Vor allem mein Arzt am Amtsplatz.“
Neuer Mietvertrag existiert
Seine Wohnung im Haus an der Gahlenschen Straße 180, in dem er 40 Jahre lang gelebt hat und das mittlerweile abgerissen ist, hat er Ende 2018 auch nur deshalb als letzter Mieter verlassen, weil ihm eine neue Wohnung in einem der Neubauten auf dem gleichen Grundstück und eine vorübergehende Unterkunft versprochen wurde. Für die neue Wohnung gibt es schon einen Mietvertrag. „Zu guten Konditionen“, so Aichard Hoffmann vom Mieterverein Bochum, der die Interessen von Alfred Grutsch vertritt. Die neue Wohnung sei zwar etwas kleiner, aber kaum teurer als die alte, größere. Alter und neuer Vermieter ist die Massivhaus Dortmund Beteiligungs-GmbH.
Für die Aussicht auf eine neue, bezahlbare Wohnung hat Alfred Grutsch in Kauf genommen, vorübergehend in den Baucontainer am Ende des langgezogenen Grundstücks an der Gahlenschen Straße zu ziehen, dort die gleiche Kaltmiete zu bezahlen wie in seiner alten Wohnung und den Baulärm zu ertragen. Einer der Haken: Geheizt wird mit Strom. „Und das ist ganz schön teuer“, sagt der Rentner, der von Hartz IV lebt. Und: Als vor einigen Wochen der Strom ausfiel und es drei Tage lang bitterkalt in dem Container war, war er bereit, den Container zu verlassen.
Kündigung am 22. Oktober
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Denn: Am 22. Oktober hatte ihm die Massivhaus Dortmund Beteiligungs GmbH mitgeteilt, er müsse aus dem Metallcontainer raus, weil der neue Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Container stehe, diesen nicht mehr dulde. So sei das nicht gewesen, widerspricht Andreas Multhaup von der Massivhaus Dortmund Projektentwicklungs GmbH, die auf dem betreffenden Grundstück fünf Häuser baut. „Die Bauordnung der Stadt hat sich eingeschaltet und verlangt, dass Herr Grutsch aus dem Container auszieht. Wohnen sei dort nicht erlaubt.“ Im übrigen wolle die Massivhaus nicht mehr die Verantwortung dafür übernehmen, dass der Rentner weiter dort lebe. Er könne dort erfrieren. „Wir haben ihm auch schon andere Wohnungen angeboten, aber die will er nicht“, so Multhaup, der sich weiter um Alternativen bemüht.
Die Stadt weiß allerdings nichts von vermeintlich untragbaren Zuständen und einer Aufforderung des Bauaufsicht. „Aus unserer Sicht gibt es nichts zu beanstanden, von uns gab es keine Ordnungsverfügung“, sagt Sprecher Peter van Dyk. Die aufsuchende Hilfe des Sozialamts kenne die Situation, es spreche nichts gegen diese vorübergehende Lösung. Wohl aber gibt es ein Schreiben der Massivhaus Projektentwicklung an den Mieter, das der Redaktion vorliegt. Darin heißt es, der neue Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Container steht, habe gefordert hat, diesen zu entfernen. Und: „Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir dieser Aufforderung nachgehen müssen und den Wohncontainer bis zum 30.11.2019 vom besagten Grundstück entfernen werden.“
Schwierige Wohnungssuche
Zwei andere Wohnungen wurden Alfred Grutsch bislang angeboten. Für die eine Wohnung habe er sich zu spät entschieden, sagt Andreas Multhaup. Sie sei schon vergeben gewesen.
„Die andere war eine Hundehütte“, sagt der Rentner. „Die war kleiner als der Container hier, wie sollen denn da meine Möbel reinpassen.“
Alfred Grutsch ist ratlos. Er will weiter in dem Provisorium wohnen und dort auch das Weihnachtsfest verbringen. „Denn er befürchtet: Wenn ich jetzt woanders hinziehe, dann lassen sie mich nicht mehr in die neue Wohnung.“ Mieterverein-Sprecher Aichard Hoffmann sieht ein anderes Problem: „Über die Kündigung machen wir uns keine Sorgen.“ Als langjähriger Mieter habe neun Monate Kündigungsfrist. „Aber wir befürchten weitere Zwangsmaßnahmen. Ihm ist bereits mehrfach gedroht worden.“ Die Sache mit dem Strom, der plötzlich wieder da war, als Alfred Gutsch den Vertrag für ein andere Wohnung unterschrieben habe, sei doch sehr merkwürdig.