Bochum. Stefan Hunstein und Svetlana Belesova werden in den Kammerspielen ausgezeichnet. Diesmal gibt’s keine Nominierten – und die Top-Favoritin fehlt.

Neues Spiel, neue Regeln: Die ersten Bochumer Theaterpreise der Intendanz von Johan Simons sind am Freitagabend in den Kammerspielen verliehen worden. Mit den begehrten Bronzekugeln ausgezeichnet werden der Schauspieler Stefan Hunstein (in der Kategorie Arrivierte) sowie seine Kollegin Svetlana Belesova (in der Kategorie Nachwuchs).

Möglich macht‘s der umtriebige Freundeskreis des Schauspielhauses, der die mit jeweils 3000 Euro dotierten Auszeichnungen seit der Saison 2005/06 jährlich auslobt, um besonders verdienstvollen Mitgliedern des Ensembles seinen Dank auszusprechen. Und dies nicht ohne Wirkung: Der Bochumer Theaterpreis hat längst ein Renommee und steht auf ganz wunderbare Weise für die tiefe Verbundenheit des Theaters mit seinem treuen Publikum. „Den Preis würde ich auch gern mal bekommen“, hört man oft von Schauspielern aus anderen Städten, deren Theater solche Auszeichnungen nicht kennen. Hollywood hat die Oscars, die deutschen Bühnen haben das Berliner Theatertreffen – und Bochum hat den Theaterpreis. Dahinter ein dickes Ausrufezeichen.

Am Prozedere der Preisverleihung hat sich viel verändert

Langjährigen Besuchern fällt allerdings auf: Am Prozedere der Preisverleihung hat sich in diesem Jahr einiges verändert. Zwar stimmen die Mitglieder des Freundeskreises noch immer über ihre Bühnenlieblinge ab. Eine fachkundige Jury, der auch der Autor dieser Zeilen angehört, wählt aus dieser Liste dann die Preisträger aus. Doch anders als in den Vorjahren werden die Nominierten diesmal nicht öffentlich genannt, auch die Preisträger selber werden vorab bereits informiert. Das durchaus kribbelige „Rennen um den Theaterpreis“ findet also gar nicht statt, was dem Abend etwas an Emotion und vor allem an Spannung nimmt.

Strahlender Preisträger: Stefan Hunstein widmet den Preis seinem Vater.
Strahlender Preisträger: Stefan Hunstein widmet den Preis seinem Vater. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Top-Favoritin Sandra Hüller wird ausgespart

Für diese eher moderate Art der Preisverleihung soll sich Intendant Johan Simons stark gemacht haben, um Neid und Zwietracht innerhalb seines Ensembles zu vermeiden. Denn klar ist es für einen Schauspieler kein schönes Gefühl, teilweise mehrmals nominiert zu werden, nur um dann leer oder mit der Faust in der Tasche nach Hause zu gehen. „Da haben wir in den letzten Jahren einige schwer gefoltert“, gibt Hans Joachim Salmen, Vorsitzender des Freundeskreises, zu. „Man denke nur an Roland Riebeling. Der Ärmste war dreimal nominiert, ehe es für ihn endlich klappte.“ So herrscht diesmal eher „Fair Play“ statt Oscar-Feeling.

Und auch das ist neu: Top-Favoriten werden wissentlich ausgespart. Denn natürlich denkt jeder im Saal, dass in diesem Jahr nur eine für diese Auszeichnung infrage kommt: Sandra Hüller. Niemand prägte das erste Simons-Jahr an der Königsallee stärker als sie. Erst kürzlich wurde Hüller vom Fachblatt „Theater heute“ erneut zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt, da schien der Bochumer Theaterpreis nur folgerichtig, oder? Nicht ganz.

Natürlich ein Trick, aber ein schöner

Um auf die Liste der Nominierten zu gelangen, muss man drei Produktionen pro Spielzeit vorweisen können, so sehen es die Statuten vor. Hüller hingegen hatte nur zwei Premieren: „Hamlet“ und „Penthesilea“. Ihr dritter Auftritt (in „Bilder deiner großen Liebe“) wird als Gastspiel aus Zürich gewertet. Natürlich ein Trick, aber ein schöner, um endlich auch andere Künstler des neuen Ensembles glänzen zu lassen.

Preisträgerin Belesova ist auch in einem Hörspiel zu erleben

Wer Preisträgerin Svetlana Belesova mal in einer ungewöhnlichen Rolle erleben möchte, hat dazu beinahe täglich bei freiem Eintritt im oberen Foyer des Schauspielhauses Gelegenheit. In dem Hörspiel „Unsichtbar“ kann man ihrer Stimme und ihrem leichten russischen Akzent mit Blick aus dem großen Fenster ganz wunderbar lauschen.

Der Bochumer Theaterpreis wird wieder im kommenden Jahr verliehen: Dann gemeinsam mit dem Bernhard-Minetti-Preis, der vom Kemnader Kreis für besonders herausragende Leistungen vergeben wird. Zuletzt ging er 2017 an Dietmar Bär.

Und so begab es sich am 10. Oktober, dass Stefan Hunstein einen Anruf bekam mit der guten Nachricht, diesmal der Preisträger in der Kategorie „Arrivierte“ zu sein. „An jenem Tag erfuhr auch Peter Handke, dass er den Nobelpreis bekommt“, sagt Hunstein. „Ich habe mich mindestens genauso gefreut wie er.“

Rückkehr ans Schauspielhaus nach knapp 30 Jahren

Der 62-jährige Hunstein glänzte in der letzten Spielzeit als starker Claudius in „Hamlet“ sowie in den herausfordernden Houellebecq-Inszenierungen „Plattform“ und „Unterwerfung“. Welches Kaliber Hunstein auf der Bühne ist, wissen ältere Theatergänger schon länger: Von 1986 bis 1991 war er während der Steckel-Ära am Schauspielhaus zu sehen, ehe es ihn weiter nach München zog. „Wir haben uns gemeinsam quer durch die Theaterliteratur gespielt“, sagt seine langjährige Kollegin Sibylle Canonica bei ihrer Laudation. „Das Spiel mit Absurditäten ist ihm immer nah. Er ist jemand, der über die Abgründe und die tückischen Felder eines Stoffes hinweg fliegt.“

Die Preisträger Svetlana Belesova und Stefan Hunstein (Mitte) mit Intendant Johan Simons (dritter von links), Chefdramaturg Vasco Boenisch (vierter von links), Laudatorin Sibylle Canonica (dritte von rechts) sowie Vertretern des Freundeskreises.
Die Preisträger Svetlana Belesova und Stefan Hunstein (Mitte) mit Intendant Johan Simons (dritter von links), Chefdramaturg Vasco Boenisch (vierter von links), Laudatorin Sibylle Canonica (dritte von rechts) sowie Vertretern des Freundeskreises. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

In einer bemerkenswerten, knapp 20-minütigen Rede, die ihn von eigenen Kindheitserinnerungen bis zu den kulturpolitischen Drohgebärden der AfD führt, bedankt sich Hunstein für die Auszeichnung. „Dieses Theater ist ein Stück Heimat für mich“, sagt er. „Das macht den Preis für mich so besonders.“ Hunstein widmet ihn seinem Vater, einem Zahnarzt aus Kassel, der ihn einst als kleiner Junge nach Bochum ins Theater führte.

Viktoria-Quartett reißt zu Beifallsstürmen hin

Svetlana Belesova (31) zählte in der vergangenen Spielzeit zu den auffälligsten Nachwuchsakteuren – und dies nicht nur wegen ihres auffälligen Äußeren. In „Leonce und Lena“, „Die Philosophie im Boudoir“ und insbesondere in „Iphigenie“ gelingen ihr schillernde Auftritte. Dass Belesova ihre markante Glatze mit den Tattoos auf dem Kopf gar nicht als rein modisches Accessoire versteht, erfahren einige Besucher an diesem Abend zum ersten Mal. „Dahinter steckt eine Autoimmunerkrankung, die ihr seit Kindertagen keine Haare wachsen lässt“, sagt der Theaterkritiker Bernd Noack, dessen Laudatio aus Krankheitsgründen von Chefdramaturg Vasco Boenisch verlesen wird. „Svetlana musste früh lernen, wie es ist, anders zu sein.“ Das Scheitern, Fallen und erneute Aufstehen stecke in ihrem Spiel mit drin: „Sie spielt mit wachen Augen, mit Schönheit und purer Emotion.“

Viel Beifall – auch für das fulminant aufspielende Viktoria-Quartett der Bochumer Symphoniker.