Wattenscheid. Rund 200 Fans der SG Wattenscheid 09 nahmen einen emotionalen Abschied von der Mannschaft und vom Trainer. Der Regionalligist ist pleite.
Schwarz-Weiß, das war mein ganzer Stolz. Als „Mittelläufer“, über lange Zeit als Mannschaftskapitän von der E- bis zur A-Jugend das Trikot der SG 09 zu tragen, das war für einen Wattenscheider Jungen in den 70er Jahren das Größte. Die Nominierung für die Westfalenauswahl bot Anlass zu kühnen Hoffnungen. Dann kamen die Mädels, der Schulstress, die ersten Zeilen für die Zeitung. Mit dem Fußball war es vorbei. 09 blieb im Herzen. Das blutet, seitdem der Traditionsverein vor dem Abgrund steht. So waren – bei aller gebotenen journalistischen Distanz – auch manche Emotionen im Spiel, als der WAZ-Redakteur am Samstagmittag zur Lohrheide fuhr, um über den Abschied des Regionalligisten von seinen Fans zu berichten.
„You never really go away“, steht auf einem Shirt. „Jetzt erst recht“ auf einem Trikot. „90 Minuten echte Gefühle“, prangt auf einer Fahne. Die gibt’s am Samstag reichlich, mehr Schwarz als Weiß, wohl zum letzten Mal für mindestens ein Dreivierteljahr. Es sind gut 200 der Treusten der Treuen, die in die Lohrheide gekommen sind, um mit heißem Herzen, warmen Worten und kühlem Pils ihre letzten Hoffnungen zu Grabe zu tragen. Um 14 Uhr wäre Anpfiff für das Derby gegen Rot-Weiß Oberhausen gewesen. Stattdessen: Trauermienen, wehmütige Anekdoten aus den Glanzzeiten und manches Tränchen. Statt Streuselkuchen gibt’s die kultige Thiers-Bratwurst. Die SG 09 ist pleite, das Insolvenzverfahren läuft, die erste Mannschaft ist vom Spielbetrieb abgemeldet.
Angeblicher Geldgeber bleibt weiter unbekannt
Dabei war am Freitag nochmals ein Funken Zuversicht aufgelodert. Von einem anonymen Gönner war die Rede, von 400.000 Euro, die eine kurzfristige Rettung des einstigen Bundesligisten und Bayern-Bezwingers verheißen könnten. Doch Aufsichtsratsmitglied und 09-Urgestein Gerd Abstins bestätigt, was noch am Freitagabend durchgesickert war. Zwar habe der Verein auf Bitte der Insolvenzverwalterin Anja Commandeur beim Westdeutschen Fußballverband (WDFV) angefragt, ob ein Rückzug vom Rückzug möglich sei. „Die Gremien haben lange beraten. So einen Fall gab es noch nie“, berichtet Abstins. Letztlich habe der Verband den Antrag aber abgelehnt. „Wir warten jetzt auf die schriftliche Begründung“, so Abstins. Wer der mysteriöse Geldgeber ist? Ob es ihn überhaupt gibt? „Keine Ahnung. Ehrlich.“
An den schwarz-weißen Ritter glaubt bei den Fans eh niemand so recht. „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Gut, dass wenigstens die Jugendabteilung fortbestehen soll“, meint Torsten (42), der aus Essen angereist ist. „Nur keine Selbstdarsteller mehr. Nicht noch mal Can & Co!“, stöhnt Georg (58). Was der Klub jetzt brauche, seien „bodenständige und seriöse Leute, keine Egomanen wie in den letzten Jahren“. Karin (49) appelliert an die Solidarität der Ex-Profis: „Die Familie Sanè könnte jetzt mal helfen. Samy ist als Fußballer hier groß geworden, Leroy ist in Wattenscheid aufgewachsen. Der ist doch jetzt schon Multimillionär!“
Trainer Farat Toku wird von Fans gefeiert
Gefeiert wird am Samstag ein anderer. Farat Toku kann sich vor Umarmungen kaum retten. Allen Widerständen und Rückschlägen zum Trotz hat er als Trainer dem Verein und seinen „Jungs“ bis zum Schluss die Stange gehalten und sportlich Großartiges geleistet. Zur aktuellen Finanzsituation mag er sich im WAZ-Gespräch ebenso wenig äußern wie zu seiner eigenen Zukunft. Nur soviel: „Das ist alles unglaublich bitter.“
Am vergangenen Mittwoch war das letzte Training. „Weil wir vom Spielbetrieb ausgeschlossen sind, sind die Jungs nicht mehr versichert.“ Aktuell bemühe er sich, zumindest einige Spieler bei anderen Vereinen unterzubringen. Das sei nicht leicht: „Die Spielberechtigungen gelten nicht mehr. Die Jungs müssen bis zur nächsten Transferperiode im Januar warten.“
Fans nehmen Abschied von der SG Wattenscheid 09
„Und jede Woche neu, da gibt es tolle Spiele“: Lennis 09-Hymne ist vorerst verklungen. Gegen 14.30 Uhr geht die Trauerfeier zu Ende. Auch waschechte Nullneuner wollen das Derby auf Schalke im TV sehen. Der Redakteur macht sich auf den Heimweg. Wenn’s weitergeht, kehrt er zurück. Versprochen. Zu seinem alten Stolz. Zu seiner alten Liebe. In der Oberliga wird auch guter Fußball gespielt.