Bochum. Das Giftgas Schwefelwasserstoff hat zur Evakuierung eines Studentenwohnheims in Bochum geführt. Seit Samstagvormittag ist der Einsatz beendet.
Der Großeinsatz von Feuerwehr und DRK nach dem Giftgasalarm in einem Bochumer Studentenwohnheim ist seit Samstagmittag beendet. Fast alle Studenten konnten in ihre Wohnungen zurückkehren. „Die schnelle Evakuierung und Versorgung der jungen Leute auch über Nacht hat hervorragend geklappt“, sagte Feuerwehrchef Simon Heußen im WAZ-Gespräch.
Es war ein Einsatz, wie ihn die Rettungskräfte in dieser Dramatik und Tragik selten erlebt haben. Am Freitag kurz nach 19.30 Uhr wird die Feuerwehr ins Studentenwohnheim an der Laerholzstraße in Querenburg, unweit der Ruhr-Universität, gerufen. Ein Student wird vermisst. Seit Tagen haben die Eltern nichts mehr von ihrem Sohn gehört. Der Hausmeister schließt die Wohnung auf. An der Badezimmertür klebt ein Zettel: „Nur durch Feuerwehr betreten.“
Suizid mit Schwefelwasserstoff
Schnell herrscht furchtbare Gewissheit. Der Student hat sich das Leben genommen: mit Schwefelwasserstoff, den er mutmaßlich kurz zuvor selbst zusammengemischt hat. Das farblose, streng riechende Gas ist hochgiftig und kann nach wenigen Minuten, bei hoher Konzentration binnen Sekunden, tödlich sein. Zudem ist es leicht entzündlich.
Die Feuerwehr organisiert in kürzester Zeit einen Großeinsatz. Das gesamte Gebäude muss so schnell wie möglich geräumt werden. 104 Studenten müssen raus. Allesamt werden sie noch vor Ort durch einen Notarzt untersucht. Das Gas hat sich zum Glück noch nicht ausgebreitet: Verletzt ist nach Angaben der Feuerwehr niemand. Neun Menschen, darunter sechs Einsatzkräfte, werden in einem Duschzelt vor Ort dekontaminiert. Sie hatten sich zuvor in der Nähe der Wohnung aufgehalten.
Wohnung wird durch Dortmunder Taskforce luftdicht versiegelt
Erst nach der Evakuierung des gesamten Gebäudes kann die Feuerwehr die betroffene Wohnung im Erdgeschoss in Schutzanzügen betreten. Unterstützung leistet die analytische Task Force der Feuerwehr Dortmund, die für sogenannte ABC-Einsätze speziell geschult und ausgerüstet ist.
Die Experten bestätigen die Warnung und weisen das Giftgas Schwefelwasserstoff nach. Die Wohnung wird luftdicht versiegelt.
DRK-Heim wird zur Notunterkunft
Derweil werden die Studenten mit Bussen der Bogestra ins Rot-Kreuz-Zentrum An der Holtbrügge in Weitmar gebracht. Alles läuft ruhig und diszipliniert ab. „Natürlich hatte man etwas Angst. Keiner wusste genau, was los ist. Anfangs dachten wir an eine Übung“, berichtet Theologiestudentin Jeyoen (26). „Als bekannt wurde, was passiert ist, waren wir froh, in Sicherheit zu sein.“
Das DRK stemmt die Betreuung mit Bravour. Der Veranstaltungssaal im „Haus der Generationen“ wird zur Notunterkunft. Feldbetten (200 sind hier für den Notfall eingelagert) werden aufgebaut, Tische und Stühle herbeigeschafft, Hygiene-Sets mit Zahnbürste, Handtuch und Duschgel verteilt. 50 Studenten bleiben. Der Rest kommt bei Freunden oder Verwandten unter.
Am späten Abend gibt’s Schnittchen, Tee und Kaffee
Der DRK-Koch kommt kurz vor Mitternacht aus dem Feierabend, um die Studenten zu versorgen. Es gibt Tee, Kaffee, Wasser und Schnittchen. „Nach einer warmen Mahlzeit war niemand zumute“, sagt Kreisrotkreuzleiter Sebastian Oestreich am nächsten Morgen. Mit seinen 40 Helfern ist er voll des Lobes über die Studenten: „Die verhalten sich ganz toll, sind freundlich, helfen mit, wo immer sie können.“ Die Gäste geben das Kompliment zurück: „Wir werden super betreut. Immer wieder werden wir gefragt, ob wir noch etwas brauchen. Das ist ganz lieb“, sagt eine junge Frau.
Die Nacht im DRK-Heim ist kurz. Die Rettungskräfte in Querenburg – 130 sind es insgesamt – arbeiten derweil durch. Bis Samstagvormittag laufen die letzten Arbeiten. Sämtliche Bekleidung, die mit dem Giftgas in Berührung war, wird in Säcke gepackt und auf einem Transporter weggeschafft.
Am Vormittag geht’s zurück ins Wohnheim
Am Samstag um 11 Uhr kann das Wohnheim bis auf die kontaminierte Wohnung und vier Nachbarwohnungen wieder freigegeben werden. Wann die fünf Wohnungen wieder bezogen werden können, ist noch ungewiss.
Die Studenten werden mit einem Bogestra-Bus zur Laerholzstraße zurückgebracht. Es herrsche keinerlei Gefahr mehr, versichert Feuerwehrsprecher Simon Heußen. Die zuletzt gemessenen Werte seien unbedenklich. „Ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin“, sagt Jeyoen, als sie in Weitmar in den Bus steigt.