Bochum. Am Montag erinnert die ARD an „Die Irrfahrt der St. Louis“. Ein jüdischer Geschäftsmann aus Bochum war 1939 mit an Bord - mit furchtbarem Ende.

„???“ Drei Fragezeichen stehen dort, wo sonst der Todestag eingeprägt ist. Max Pander ist der goldfarbene „Stolperstein“ auf dem Boulevard in Höhe der Drehscheibe gewidmet. Wann genau der Bochumer im KZ Auschwitz starb, ist ungewiss. Sicher ist: Der jüdische Geschäftsmann war vor 80 Jahren Teil einer tragisch gescheiterten Flucht, die als „Irrfahrt der St. Louis“ in die Geschichte eingegangen ist. Am Montag (21.) wird sie im ARD-Fernsehen dokumentiert. Titel: „Die Ungewollten“.

13. Mai 1939, Hamburger Hafen. Die „St. Louis“, ein schmuckes Passagierschiff der Hamburg-Amerika-Linie (Hapag), legt zu einer Sonderfahrt ab. Ziel: Kuba. An Bord: 937 deutsche Juden, die ein halbes Jahr nach der Pogromnacht dem längst drohenden Genozid in Nazi-Deutschland entkommen wollen. Ihre Zukunft in Übersee scheint gesichert: Sämtliche Passagiere haben Touristenvisa für Kuba und Einreisepapiere für die geplante Weiterfahrt in die USA.

Auf der Bongardstraße (heute Boulevard) führte Max Pander ein Uhrengeschäft. Hier eine Aufnahme aus den 30er Jahren. Das Firmenschild ist unter der Uhr rechts zu erkennen.
Auf der Bongardstraße (heute Boulevard) führte Max Pander ein Uhrengeschäft. Hier eine Aufnahme aus den 30er Jahren. Das Firmenschild ist unter der Uhr rechts zu erkennen. © Hoffmann | Stadtarchiv

Uhrmacher führte ein Geschäft auf der Bongardstraße

Max Pander geht mit seiner Frau Berta und seiner 16-jährigen Tochter Hilde an Bord. Furchtbare Jahre liegen hinter ihm. Ab Mitte der 1920er Jahre an der Herner Straße 9, seit 1932 an der Bongardstraße 14 unweit der Propsteikirche, führt der Uhrmacher ein Geschäft für Uhren, Gold- und Silberwaren. Die Familie wohnt an der Klosterstraße (heute Am Kortländer), zieht aber alsbald auf die Geschäftsstraße um.

Aus dem ehrenwerten Handwerker und Kaufmann wird unter dem Nazi-Regime ein Volksfeind, ein „Untermensch“. Nach der Pogromnacht im November 1938 wird Max Pander verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Nach einem Monat darf er zurück – und entscheidet mit seiner Familie, die Heimat so schnell wie möglich zu verlassen.

An Bord schlägt Hoffnung in Verzweiflung um

Pander, damals 47, erwirbt Tickets für die „St. Louis“. 500 Reichsmark kostet eine Passage in der Touristenklasse des Kreuzfahrtschiffes, das Sicherheit und Freiheit jenseits des Atlantiks verheißt. Ein Foto des Bordfotografen zeigt, wie Pander mit seiner Tochter an Bord geht. Er wirkt nachdenklich. Hilde lacht, wie auch auf weiteren Aufnahmen, auf denen der Teenager mit jungen Passagieren feiert. Unbeschwert. Strahlend. Voller Zuversicht.

Die Vorfreude an Bord schlägt am 27. Mai in Entsetzen, schnell auch Ausweglosigkeit um. Entgegen früherer Zusagen verweigert die kubanische Regierung der „St. Louis“ die Einfahrt in den Hafen von Havanna. Kapitän Gustav Schröder muss Kuba verlassen und nimmt Kurs auf die USA, auf Florida. Es ist der Beginn einer Odyssee, die weitweit Schlagzeilen macht. Schröder bittet US-Präsident Roosevelt persönlich um Hilfe. Doch der lehnt, wohl aus wahltaktischen Gründen, ab, die Flüchtlinge aufzunehmen, ebenso wie Kanada (eine „Herzlosigkeit“, für die sich Premier Trudeau 2018 offiziell entschuldigt hat).

Auf dem Boulevard in Höhe der Drehscheibe erinnert dieser „Stolperstein“ an Max Pander.
Auf dem Boulevard in Höhe der Drehscheibe erinnert dieser „Stolperstein“ an Max Pander. © Jürgen Stahl

Odyssee endet in Antwerpen

Inständig bemüht sich Kapitän Schröder um einen Zufluchtshafen. Die Verzweiflung an Bord wächst. Gerüchte einer Meuterei machen die Runde. Von Suizid ist die Rede. Doch letztlich bleibt nur die Rückkehr nach Europa. In Antwerpen geht die „St. Louis“ am 17. Juni, über ein Monat nach der Abreise, vor Anker. Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien erklären sich bereit, die jüdischen Flüchtlinge in festgelegten Kontingenten aufzunehmen.

ARD zeigt Doku-Drama am Montagabend

„Die Ungewollten – Die Irrfahrt der St. Louis“, heißt das Doku-Drama, das am Montag (21.) um 20.15 Uhr in der ARD zu sehen ist.

Ulrich Noethen spielt Kapitän Schröder, der vergeblich versucht, einen sicheren Hafen für über 900 jüdische Flüchtlingen anzulaufen.

Eine umfassende Chronik des Schicksals von Max Pander und seiner Familie findet sich auf www.bochum.de/stolpersteine.

Die „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig finden sich dort, wo Menschen wohnten, die in der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden. In Bochum gibt es 248 Steine.

Die Panders kommen in mehrere Flüchtlingslager in Holland, zuletzt ins Camp Westerbork, das nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 ein deutsches KZ wird. 1944 wird die Familie ins KZ Theresienstadt verlegt. Dort heiratet Hilde 1944. Wenig später werden sowohl ihr Ehemann als auch ihr Vater ins KZ Auschwitz deportiert. „Man hört nie wieder etwas von ihnen“, heißt es in einer Chronik.

„Stolperstein“ erinnert an Max Pander

Nach neueren Forschungen wurden 254 der Passagiere der „St. Louis“ im Holocaust ermordet. Dabei schien die Rettung greifbar nahe. Hilde und Berta Pander überleben die NS-Gräuel und wandern nach dem Krieg in die USA aus.

Max Pander wird zum Kriegsende am 8. Mai 1945 für tot erklärt. Seine Heimatstadt Bochum hat er nie wiedergesehen. Eine Gedenktafel für die Flüchtlinge der „St. Louis“ im Hamburger Hafen, ein Blatt in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und der „Stolperstein“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite seines ehemaligen Geschäftes auf dem Boulevard erinnern an ihn: „Hier wohnte Max Pander, Jg. 1891, deportiert Auschwitz, ???.“