Bochum. Altmodisch im besten Sinne: Mit einer ehrfürchtigen Aneignung des Goethe-Klassikers startet Hans Dreher als neuer Leiter am Prinz-Regent-Theater.

Ein gespanntes Knistern lag am Samstagabend im Prinz-Regent-Theater in der Luft: Mit Goethes „Faust“, dem deutschen Literaturklassiker schlechthin, eröffnet Theaterleiter Hans Dreher seine erste Spielzeit an neuer Wirkungsstätte – und das kann man durchaus als Statement begreifen. Dreher, so scheint es, möchte der Bühne neue Ernsthaftigkeit im Umgang mit großen Stoffen schenken. Respektvoll, fast schon ehrfürchtig nähert er sich diesem Schwergewicht der Theatergeschichte und vertraut ganz auf den wunderbaren Klang von Goethes Dichtung.

Drehers Inszenierung hat alles, was ein guter „Faust“ braucht: Pathos, Schwere, große Gefühle, etwas Witz und zwei Schauspieler, die sogar ein bisschen aussehen wie Will Quadflieg und Gustaf Gründgens in der legendären Hamburger Inszenierung Ende der 50er Jahre. Gespielt wird ausschließlich in Kostümen (von Rabea Stadthaus), die zur Zeit des Stückes gehören. Jegliche Art von Modernisierung scheint Dreher völlig fremd. Sein Faust bezieht sein Wissen nicht aus dem Internet und spricht in keine Webcam, wie es andere Aufführungen beinahe zwanghaft auf aktuell gebürstet vorgemacht haben. Man mag das etwas altmodisch nennen, aber genau daraus bezieht die Aufführung auch ihren Reiz.

Wiedersehen mit Oliver Möller

Der „Faust“ im Prinz-Regent-Theater bietet ein schönes Wiedersehen mit dem Schauspieler Oliver Möller, dem als Mephisto eindrucksvolle Auftritte gelingen.

Während der Intendanz von Elmar Goerden gehörte Möller zum Ensemble des Schauspielhauses und spielte u.a. den Roberto Zucco in der Regie von Lisa Nielebock. Außerdem gehörte er zum Gründungsteam der legendären „Tribute to Johnny Cash“-Show. 2010 wechselte Möller ans Münchner Volkstheater.

Dabei stellt sich natürlich immer die große Frage: Für wen inszeniert man den „Faust“ heutzutage eigentlich? Der Text ist dermaßen populär, dass mancher ihn im Schlaf mitsprechen kann und bietet außerdem eine unvergleichliche Fundgrube deutscher Redensarten. Die gediegene Ästhetik dieser Aufführung verrät es: Für Literaturfans scheint sie ebenso gemacht zu sein wie für Mittel- und Oberstufenschüler, die diesen Stoff von ewiger Bedeutung gerade zum ersten Mal entdecken.

Cleveres Lichtkonzept

Größte Überraschung des Abends ist ein ungemein cleveres Lichtkonzept: Der Zuschauer hat fast während der kompletten Aufführung das Gefühl, als schaue er einen alten Schwarz-Weiß-Film. Jegliche Farbe haben Dreher und Tom Haarmann am Lichtpult ihrer Aufführung ausgetrieben. Die Kostüme, die dicke weiße Schminke und die liebevolle Ausstattung mit einem alten Grammophon deuten ebenfalls in diese Richtung. Erst wenn Gretchen in ihrer Stube „am Spinnrade allein“ (hier am Klavier) über ihre Liebe zu Faust sinniert („Meine Ruh‘ ist hin, mein Herz ist schwer...“) huscht ein leichter roter Schatten über die weiße Leinwand im Hintergrund. Und wenn Gretchens rote Rose, die sie vor ihrem Heinrich zerpflückt, der einzige Farbtupfer weit und breit ist, schlägt einen die stilistische Originalität dieser Aufführung endgültig in den Bann.

Szene mit Nele Sommer als Gretchen und Maximilian Strestik als Faust.
Szene mit Nele Sommer als Gretchen und Maximilian Strestik als Faust. © Prinz-Regent-Theater Bochum | Thorsten Schnorrbusch

Erstklassiges Ensemble

Das vierköpfige Ensemble ist erstklassig. Maximilian Strestik spielt den müden alten Professor mit großer Wärme. In dem Mephisto, den Oliver Möller formidabel als abgetakelten Partylöwen gibt, findet er einen giftigen Gegner, der nie zu packen ist. Dabei werden viele Szenen gekürzt, die Fausts Entwicklung illustrieren, wodurch sein Pakt mit dem Teufel eher vorschnell als schlüssig erscheint. Doch bei einer Spiellänge von nur knapp zwei Stunden (länger hält man es auf den harten Holzstühlen im Saal wirklich nicht aus!) fällt eben vieles unter den Tisch – darunter leider auch das schöne „Vorspiel auf dem Theater“.

Dicker Brocken ist gestemmt

Nele Sommer zeigt ihr Gretchen ungemein natürlich: vom zarten Schwärmen des jungen Mädchen zu dem weitaus älteren Herrn bis zur bitteren Verzweiflung reicht die Gefühlspalette. Und Laura Thomas meistert die kniffelige Aufgabe, einigen wichtigen Nebenrollen Kontur zu geben, wobei ihr besonders die Frau Marthe feinfühlig gelingt. Viel Beifall und ein sichtlich erleichterter Theaterleiter, der einen dicken Brocken gleich zur Spielzeiteröffnung gestemmt hat.

Dauer: ca. 2 Stunden ohne Pause. Wieder am 11., 12., und 26. Oktober sowie im November und Dezember. Karten: 0234 / 77 11 17.