Bochum. Mindestens 365 Euthanasie-Opfer waren in der NS-Zeit in Bochum zu beklagen. Ihnen soll ab dem nächsten Jahr an zentraler Stelle gedacht werden.

In Bochum soll es eine dauerhafte Gedenkstätte für die Euthanasie-Opfer in der NS-Zeit geben. Dafür machen sich der Leiter des LWL-Universitätsklinikums, Prof. Georg Juckel (57), und der Vorsitzende der kommunalen Inklusionskonferenz, Eckhard Sundermann (69), stark. Beide fordern: „Die systematische Ermordung Hunderter behinderter Menschen gehört ins Bochumer Gedächtnis.“

Es ist an Kaltblütigkeit und Unmenschlichkeit kaum zu überbieten, was die Nationalsozialisten und ihre ärztlichen Helfershelfer ab 1940 anrichteten. „Lebensunwertes Leben“ sollte „ausgemerzt“ werden, um der völkischen „Rassenhygiene“ zu genügen. Über 200.000 geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen bezahlten den ideologischen Wahn mit ihrem Leben, vom zehnjährigen Kind bis zum Greis. Hinzu kommen rund 400.000 Frauen und Männer, die zwangssterilisiert wurden – zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“.

Wissen um Gräuel in Bochum ist bruchstückhaft

So umfassend die Geschichte der Euthanasie in Nazi-Deutschland dokumentiert ist, so bruchstückhaft sei das Wissen um die Gräuel, die in Bochum geschehen sind, sagen Georg Juckel und Eckhard Sundermann. Zum 1. September, an dem sich zum 80. Mal das „Ermächtigungsschreiben“ Hitlers zur organisierten Ermordung Behinderter jährt, legen sie die ersten Ergebnisse ihrer Recherchen vor.

Die machen bis heute fassungslos. Mindestens 365 Bochumer Bürger, so besagen es die vorhandenen Unterlagen, wurden 1941 sowie 1943/44 getötet. „Meist waren es Patienten, die unter Schizophrenie, Depressionen, Epilepsie und weiteren psychischen Erkrankungen litten. Aber auch Blindheit und Alkoholismus standen auf der Liste – eben alles, was nicht dem Rassenideal entsprach“, weiß Juckel, der die LWL-Klinik in einer „moralischen Verantwortung“ sieht: „Viele der getöteten Bochumer waren zuvor in den Heilanstalten des Provinzialverbandes, den heutigen LWL-Standorten in Aplerbeck, Eickelborn, Warstein oder Lengerich untergebracht, bevor sie in Todeslager in München oder Hessen deportiert wurden. Dort wurden sie mit Medikamenten umgebracht oder verhungerten.“ Als offizielle Todesursache sei in der Regel eine Lungenentzündung angegeben worden.

Denkmal könnte an der LWL-Klinik entstehen

Die einstige Landesfrauenklinik an der Alexandrinenstraße habe auch bei den Zwangssterilisationen der Nazis eine beschämende Rolle gespielt, so Juckel. Allein im Stadtarchiv befänden sich Akten über 3500 Bochumer, die zwangsweise unfruchtbar gemacht wurden. „Das Gesundheitsamt war federführend. Aber auch viele Klinik- und niedergelassenen Ärzte wirkten mit“, so Juckel. Darunter Mediziner der Frauenklinik.

Bochum sei aufgerufen, auch diese vielfach vergessenen NS-Opfer posthum zu ehren und zu würdigen, appelliert Eckhard Sundermann. Als sichtbares Zeichen soll dazu eine Gedenkstätte geschaffen werden – etwa eine Plastik im Rahmen eines Künstlerwettbewerbs. Als historisch adäquate Standorte kämen die LWL-Klinik oder der Platz vor dem Gesundheitsamt am Westring infrage.

Auch Projekte in Schulen sind geplant

Bis Ende 2020 soll das Denkmal stehen. Bis dahin sind auch Projekte in Schulen, ein wissenschaftliches Symposium sowie eine Gedenkwoche mit einer offiziellen Feierstunde mit Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) geplant.

Auch Angehörige sind aufgerufen

Auch frühere Angehörige, Freunde und Nachbarn von Bochumer Euthanasie-Opfern sind aufgerufen, sich an dem Erinnerungsprojekt zu beteiligen. Wer mit seiner persönlichen Geschichte etwas zur historischen Aufarbeitung beitragen kann, meldet sich per E-Mail an bochumereuthanasie@gmx.de.

Bei der Volkshochschule wird ein Gesprächskreis zur Würdigung der Bochumer Euthanasie-Opfer eingerichtet. Die Kursnummer lautet Z13027.

Vor den damals verübten Grausamkeiten dürfe niemand die Augen verschließen, mahnen Georg Juckel und Eckhard Sundermann. Es sei an der Zeit, die Erinnerung wachzurufen und wachzuhalten.