Bochum. Seit vier Monaten wird in der Innenstadt abgerissen. Ein guter Teil des alten Justizkomplexes zwischen Viktoriastraße und Westring ist schon weg.
Der erste Blick geht unweigerlich nach oben – in die Richtung, aus der dieses Hämmern und Knacken kommt. Mehr als 25 Meter über dem Boden greift eine mächtige Stahlschere am Ende einer sogenannten Longfront-Maschine in den Beton, zerrt und zergelt in Dachhöhe an Stein und Moniereisen, ehe große Brocken des einst stolzen Gebäudes zu Boden stürzen. Abbruch ist eine raues Geschäft. Zumindest in diesen Tagen, in denen es dem Kopfgebäude des ehemaligen Justizkomplexes an der Viktoriastraße an den Kragen geht. Einige Tonnen sind schon gefallen. In spätestens vier Wochen wird von dem schmucklosen Funktionsbau, dessen mehrere Dutzend Meter langen Fassade noch den Abschluss zum Husemannplatz bildet, nichts mehr übrig sein.
„Wir sind gut in der Zeit“, sagt Baustellenleiter Magnus Konrad, zieht an seinem Zigarillo und schaut zufrieden in Richtung Abrissschere. Und hätten nicht die Stadtwerke noch so viel mit Strom- und Fernwärmeleitungen rund um das Gebäude zu tun, wäre die knapp 50 Männer von „Moß Abbruch“ und etlichen Subunternehmern, die momentan auf der seit Jahren größten Baustelle in der Innenstadt arbeiten, sogar schon weiter.
Schuttberge aus Stein und Eisen
Vom ehemaligen Innenhof des Areals ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die Seiten- und das Verbindungsgebäude hin zu den beiden optisch moderner anmutenden Türmen in Richtung Westring sind bereits verschwunden. An ihrer Stelle liegen Schuttberge aus Stein und Eisen, häufen sich die riesigen Kunststofftüten, in denen belastete Stoffe verpackt sind; vornehmlich asbesthaltiges Material aus Decken und Böden. Sie müssen noch abtransportiert werden.
Die Jäger und Sammler, die in den vergangenen Woche alle belasteten Stoffe aussortiert und Häufchen für Häufchen separiert haben, sind derweil schon weitergezogen in die beiden Türme und leisten dort ganze Arbeit. Ganze Etagen sind schon bis auf den nackten Beton freigelegt. Nur in den Fluren des ehemaligen Landgerichts stapeln sich die Metall- und Aluminiumreste. Doch was für den Besucher aussieht wie bei Hempels unterm Sofa, sorgt beim Magnus Konrad für anerkennendes Nicken. „Ist doch alles sauber getrennt“, sagt der 54-Jährige. Und darauf kommt es ja schließlich an.
Vier Tonnen schwere Gummimatte
Draußen will derweil der Longfront weiter dem Riegelbau zum Husemannplatz unerbittlich an den Beton. Von links nach rechts wird sich die Schere in den nächsten Tagen immer weiter fressen und Meter für Meter abtragen; immer hinter einer 15 mal 5 Meter großen und mehr als vier Tonnen schweren Gummimatte versteckt, die von einem Kran hochgehalten wird. Sie soll die Staubentwicklung dämpfen; wie auch das Besprenkeln mit Wasser den Staub binden und damit die Belastung für die Umgebung mindern soll. „Wir sorgen hier für den maximal möglichen Schutz“, sagt Magnus Konrad.
Die Zeiten, in denen Abbrüche mit riesigen, tonnenschweren Birnen erledigt wurden, die mit viel Schmackes gegen Wände geschlagen und diese dann zu Boden gedrückt haben, sind vorbei. „Zumindest in Innenstädten ist das ein absolutes No Go“, sagt Magnus Konrad. Erstens sei dieses Verfahren überholt. Und zweitens eben für Innenstadtbereich denkbar ungeeignet. „Das macht unglaublich viel Krach, sorgt für viel Staub und führt vor allem zu mächtigen Erschütterungen.“ Das alles hält sich angesichts der Größe der Baustelle und der Maschinen noch in Grenzen.
Mehr als 5000 Tonnen Ziegel und Beton
8000 Tonnen Bimsstein werden allein an der östlichen Seite der Baustelle abgerissen und fortgebracht, „weil sie nicht wiederverwendbar sind“; mit zwischen 5000 und 6000 Tonnen Ziegel und Beton wird erst die Tiefgarage befüllt, damit der Druck auf die Außenwände nicht zu stark ist. Später wird das „gute“ Material – auch das aus den anderen Gebäuden – dann auf der Baustelle gebrochen und vor dem Bau des Viktoria-Karrees als Füllmaterial im Boden verdichtet. Damit bleibt buchstäblich eine Menge des Justizkomplexes an Ort und Stelle.
Dazu gehört nicht die Fassade der beiden Türme auf der Westseite. Überhaupt haben die den Abbruch-Experten in den vergangenen Wochen für einiges Kopfzerbrechen gesorgt. Ursprünglich sollten die Türme von Beginn an mit einem riesigen Longfront, dem mit einer Höhe von 50 Metern und einem Gewicht von 145 Tonnen mächtigsten in der ganzen Republik, von oben an „angeknabbert“ und Stück für Stück abgetragen werden.
Fassadenteile sind am Stahlgerippe aufgehängt
Jetzt aber hat Moß umdisponiert. In der Mitte des Baugeländes wird demnächst ein mächtiger Drehkran aufgebaut. Mit ihm werden erst die an dem Stahlskelett der Gebäude aufgehängten Fassadenteile und schließlich die Wandelemente zwischen den Stahlträgern abgenommen. Dazwischen werden „kleine“ Bagger etagenweise die über ihnen liegenden Betondecken abreißen. Der große Longfront komme erst zum Einsatz, wenn die obersten Etagen abgetragen sind, so Magnus Konrad.