Bochum. Abstimmung mit Pannen: Die Wahlseite der Stadt zeigte ein Vorab-Ergebnis. Und es fehlten in mehreren Wahllokalen Stimmzettel. Das hat Folgen.
Der Bundeswahlleiter will prüfen, warum mehrere Wahllokale in Bochum bei der Europawahl am Sonntag zeitweise zu wenig Stimmzettel hatten. «Den genauen Umständen wird nachgegangen», erklärte der Bundeswahlleiter am späten Abend bei Twitter. Dies könne allerdings «eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen», hieß es.
Die Stadt Bochum hatte zuvor erklärt, dass «zwischenzeitlich in rund einem Dutzend von insgesamt 186 Wahllokalen nicht ausreichend Stimmzettel vorhanden waren». Und das, obwohl die Stadt nach eigenen Angaben genug Stimmzettel für alle Wahllokale zurückgelegt hatte. «Wo der Fehler in der Verteilkette lag, klären wir bis Mittwoch zur Sitzung des Wahlausschusses», schrieb die Stadt auf ihrem Twitteraccount. Die Wahlbeteiligung war den Angaben zufolge höher als bei der letzten Europawahl.
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Am frühen Nachmittag waren etwa im Wahllokal an der Regenbogenschule in Höntrop die Wahlzettel ausgegangen. Während etliche Wähler unverrichteter Dinge wieder kehrtmachen, harrten mehrere Dutzend andere aus und warteten auf den versprochenen Nachschub.
Etwa eine Dreiviertelstunde später wurden weitere Wahlzettel in einer großen Kisten geliefert. „So etwas habe ich überhaupt noch nicht erlebt“, sagt Sascha Gorks. Und er habe schon einige Male gewählt. Immerhin: Die Wartenden hätten sich prächtig unterhalten. „Nur die Getränkelage ist nicht so gut“, scherzt Gorks. Dem Vernehmen nach sollen eigentlich 450 Wahlzettel für die insgesamt 1300 Wahlberechtigten im Wahlbezirk 2701 vorrätig gewesen sein.
In vielen Wahllokalen fehlen Wahlzettel
„Ja, es hat in einigen Wahllokalen Engpässe gegeben, auf die wir aber schnell reagiert haben“, so Stadtsprecher Sprenger.
Allerdings: Im Laufe des Nachmittags mehrten sich dann die Meldungen aus Wahllokalen aus der ganzen Stadt, in denen die Wahlzettel hin und vorne nicht reichten. „Wir wollten gegen 14.30 Uhr im Stimmbezirk 4506 in Langendreer-Ost wählen. Und dort hieß es, es seinen keine Stimmzettel vorhanden, wir sollten später wieder kommen“, so ein Wähler gegenüber der Redaktion. „Bitte, wo leben wir denn. Wenn etwa 938 Wahlberechtigte geladen werden, können ja nicht nur für die Hälfte Unterlagen bereit stehen. Das geht gar nicht.“ Vor Ort wisse niemand Bescheid. Und: „Das Schlimme dabei war. Ich hatte meine Kinder, 15 und 17 Jahre dabei, um ihnen zu zeigen wie Demokratie geht. Peinlicher geht’s schon gar nicht.“ Ähnlich äußerten sich auch andere Wähler, die nicht wählen konnten oder warten mussten, bis sie ihre Stimmen abgeben konnten.
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CDU-Kandidat Dennis Radtke bezeichnete die Panne als „dilettantisch“. Er hatte auch davon gehört, dass zu wenig Stimmzettel ausgeliefert worden waren. „Alle sage, wie wichtig Europa ist und rufen zur Wahl auf und dann passiert so etwas."
Wähler müssen Dreiviertelstunde warten
„Mit Taxen und mit Hilfe der Feuerwehr sollen die Unterlagen nun gebracht werden“ sagte WAZ-Leserin Andrea Kasbrink. Sie hatte in der Schillerschule nicht wählen können, sollte dort eine halbe bis Dreiviertelstunde warten.
Stadtsprecher Thomas Sprenger berichtete dann um 17.20 Uhr auf Anfrage der WAZ, „dass es selbstverständlich für jeden Wähler in Bochum Stimmzettel gibt“. Es werde aktuell geprüft, warum nicht alle Wahllokale ausreichend versorgt waren.
Schon am Morgen hatte sich der Trend zu einer höheren Wahlbeteiligung abgezeichnet. Bis 11 Uhr waren bereits sieben Prozent der Wahlberechtigten an der Urne. „Zählt man die Briefwahl mit, dann sind es 24,5 Prozent“, so Stadtsprecher Thomas Sprenger zu diesem Zeitpunkt.
Wer die Herner Straße unweit des Bergbaumuseums passiert, hat schon sogar den Eindruck, als würde die Wahlbeteiligung Richtung 100 Prozent gehen. Denn vor der Hausnummer 97, dem „Your Buddah“, hat sich schon früh morgens eine lange Schlange gebildet, die schnell eine Länge von 150 Metern erreicht hatte.
Mehr als tausend Menschen säumten zur Mittagszeit schon die Straße. Es sind rumänische Staatsbürger aus ganz NRW, die hier heute ihre Stimme abgeben. Vermeintlich im Rahmen der Europawahl. So jedenfalls war anfangs der Kenntnisstand von Stadt und Polizei. „Wir wurden vorab nicht informiert und wussten von nichts“, so Stadtsprecher Thomas Sprenger.
Rumänen stimmen über Justizreform ab
Tatsächlich stimmen die Rumänen an diesem Tag über ein nationales Referendum zu einer umstrittenen Justizreform ab. Rumänien hat dem Vernehmen nach die Bundesregierung gebeten, der Einrichtung von zentralen Wahllokalen in Deutschland zuzustimmen.
Angesichts der großen Menschenmenge ist auch die Polizei auf den Plan gerufen. „Wir sind jetzt vor Ort“, so Polizeisprecher Volker Schütte am Mittag. Beamte beobachten die Lage und würden eingreifen, falls es zu Verkehrsbehinderungen komme. Tatsächlich ist mittlerweile auch der Verkehr betroffen. Stadteinwärts staut es sich auf der Herner Straße.
Die Wahlbeteiligung der Bochumer an der Wahlurne und per Brief war bis 11 Uhr schon höher als noch 2014. Zum damaligen Zeitpunkt hatten insgesamt 21,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Kreuzchen gemacht. Allein die Wahlbeteiligung an den Urnen indes ist geringer als noch 2014. Damals waren bis 11 Uhr bereits 7,7 Prozent der wahlberechtigten Bochumer in den Wahllokalen. Sprenger: „Dabei muss man aber berücksichtigen, dass 2014 gleichzeitig auch die Kommunalwahlen waren.“
Vermeintliches Endergebnis vorab veröffentlicht
Schon bevor überhaupt eine Stimme in Bochum abgegeben wurde, hat es die erste Panne gegeben. Auf der Europawahl-Seite der Stadt war im Internet bereits das vermeintliche Gesamtergebnis für die Stadt zu lesen. Der „Wahlgewinner“mit fast 50 Prozent der Stimmen: die AfD. „Wir haben das auch gesehen und die Seite sofort vom Netz genommen“, erklärt der Stadtsprecher. Während er am morgen noch versicherte, nicht die Stadt sondern ein externer Dienstleister haben die Zahlen eingestellt, ruderte er am frühen Nachmittag zurück: „Es ist doch so, dass wir die Zahlen eingestellt haben. Es handelt sich um Testdaten, die nicht hätten veröffentlicht werden dürfen. Wir können dafür nur um Entschuldigung bitten.“
Etwas ungewöhnlich in Sachen Wahlen ging es auch an der Oskar-Hoffmann-Straße zu. Dort, wo die Besucher des Autohauses Feix sonst die Wahl zwischen Opel Adam, Astra oder Insignia haben, geben sie zu dieser Stunde im Wahllokal 1403 ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung lag dabei bis 11 Uhr etwas höher als in der Gesamtstadt. Etwa 100 Wählerinnen und Wähler, knapp zehn Prozent aller Wahlberechtigten im Wahlbezirk, hatten bereits ihre Stimme abgegeben. Der Tenor: „Europa ist wichtig. Natürlich gehe ich wählen.“
Eindringlicher Appell
„Für mich war das gar keine Frage“, sagt etwa Gabi Klatt (60), die wie immer schon am Morgen ihre Stimme abgegeben hatte. Diesmal auch aus praktischen Erwägungen. „Meine Kinder kommen gleich zum Essen. Ich muss kochen.“
Die vielen Aufrufe, auf jeden Fall wählen zu gehen, waren aus ihrer Sicht wichtig und richtig. Ob es hilft, werde sich zeigen. Ähnlich sehen dies Rafael und Beate Buglowski, die ebenfalls schon früh auf den Beinen waren, um ihre Kreuzchen zu machen. „Wir gehen immer wählen. Bundestagswahl, Landtagswahl, Kommunalwahl und natürlich auch Europawahl“, sagt Rafael Buglowski, der von einer Schicksalswahl spricht. Er hoffe, dass der eindringliche Appell von vielen Stellen, zur Wahl zu gehen, fruchtet und dass vor allem die Rechten kein Oberwasser bekommen. „Man weiß nicht genau, wie die jungen Wähler abstimmen. Hoffentlich nützen die Ansprachen von Jan Böhmermann und einigen anderen in den sozialen Netzwerken.“
Im Wahllokal 1403 herrscht zu diesem Zeitpunkt zwar kein großer Auflauf, aber ein stetes Ein und Aus. „Richtig viel los ist üblicherweise zwischen 14 und 17 Uhr“, sagt Oliver Kubert; ein erfahrener Wahlvorstand, der indes zum ersten Mal für den reibungslosen Ablauf in diesem Wahllokal verantwortlich ist. Wie groß die Wahlbeteiligung am Ende des Tages sein wird, darüber sind sie sich in dem vierköpfigen Team an der Oskar-Hoffmann-Straße noch nicht ganz im Klaren. Was die bisherigen Urnengänger betrifft, so sei eines auffällig: „Es kommen eher die Älteren oder die ganz Jungen.“
Wahlaufrufe sind wichtig
So wie Naomi Pioris. „Für mich war es gar keine Frage, dass ich wählen gehe“, sagt die 23-Jährige. Und auch in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis werde das so gesehen. Die Aufrufe, auf jeden Fall über und für Europa abzustimmen, finde sie wichtig. Und sie hofft, dass sie fruchten.