Mit einer Leser-Aktion forscht die WAZ nach überflüssigen oder widersprüchlichen Verkehrsschildern, nach nötigen und entbehrlichen. Anlass: Die Häufung von Verkehrszeichen überfordert die Verkehrsteilnehmer. Der ADAC schätzt, dass mindestens ein Drittel der bunten Blechtafeln überflüssig sind.

Was den Schilderwald an Bochums Straßen betrifft, ist Andreas Gesche Profi: Der Abteilungsleiter im Straßenverkehrsamt ist bei der Stadtverwaltung der „Herr des Blechs”. Dass es immer wieder Stimmen gibt, die sich über die Viel-, ja Unzahl der bunten Tafeln zwischen Gerthe und Dahlhausen, Leithe und Langendreer mokieren, damit kann der Mann leben: „Die Behörde trifft die Anweisungen für alle Schilder auf Stadt- und Landstraßen”, sagt Gesche, „und da gibt es halt immer wieder Neuerungen.”

Man kann ihnen nicht entkommen

Schilder, Schilder, Schilder. Sie sind überall, man kann ihnen nicht entkommen. Wieviel wohl in Bochum aufgestellt sind? 60 000? 80 000 100 000? 120 000? Auf jeden Fall (zu) viele. „Wir haben während der Ausbildung mit den Schildern zu kämpfen”, weiß Torsten Welskopf von der Fahrschule „In Motion”. Viele Fahrschüler sähen mittlerweile „den Wald vor lauter Schildern nicht mehr”. „Die Fahranfänger sind häufig überfordert”, sagt Welskopf, etwa wenn neben einem Verbotsschild sogleich die Ausnahmeregelung hängt. Da steht „Tempo 30”, dahinter die Einschränkung „nur an Werktagen”. Und dazu noch „nur von 7 bis 15 Uhr”. Das sei verwirrend. „Schilda” nehme daher im Unterricht seiner Fahrschule breiten Raum ein.

Schilder zur "Feinabstimmung"

Vorfahrt beachten, Vorfahrt gewähren, Einbahnstraße, Einfahrt verboten – das sind Verkehrsschild-Klassiker, die sich schon Kindergartenkinder aus der Tabelle in Papas Notizkalender gerne abmalen. Neben diesen Grundlagenschildern stehen entschieden mehr von der anderen Sorte; jene Tafeln, die, wie Gesche es ausdrückt, „die Feinarbeit machen”. Wegweiser zum Beispel, die den Verkehr in eine bestimmte Richtung lenken (um die Innenstadt herum statt in sie hinein). Dann: Einschränkungen und Zulassungen in Parkzonen. Hinweistafeln auf Sehenswürdigkeiten (Starlight Halle, Eisenbahnmuseum). Und dann noch die Riesentafeln an den Ausfallstraßen mit dem Hinweis auf die Parkhäuser am City-Ring – wie abstrakte Grafiken wirken sie. „Die kann niemand deuten, der nicht anhält (was kein Autofahrer macht)”, sagt Fahrlehrer Welskopf.

Wundersame Zunahme

Dass die oft wundersam scheinende Zunahme bzw. das Auftauchen immer neuer Schilder nicht willkürlich erfolgt, belegen die in den letzten Jahren epidemisch gewordenen Kreisverkehre. Etwa im Kirchviertel: Hier kommen am Kreisel vier Straße zusammen, damit einher gehen vier Zebrastreifen, die jeweils von beiden Seiten mit dem doppelten blau-weißen Schild „Fußgängerüberweg” gekennzeichnet werden müssen. Macht schon mal 16 Schilder. Dazu kommen die Pfeile für die Rechts-Weisung, und dann noch die „Vorfahrt-achten”-Tafeln vor der Einfahrt in den Kreisverkehr. Rechnet man die Halteverbotschilder, die unmittelbar vor der Einfahrt in den Kreisverkehr hängen, dazu, kommt man leicht auf 30 Stück.

Das läppert sich also.

Ein andereres Beispiel für die blecherne Fortpflanzungswut sind die Umweltzonen. Absolut strittig ist, ob die überhaupt Sinn machen – aber egal: sie mussten von Rechts wegen eingerichtet werden. Und so ließen seit 2008 die Feinstaub-Tafeln mit den grünen, gelben und roten Plaketten den Schilderwald weiter wachsen. Eine Aktion, von der selbst Gesche sagt: „Darauf hätte ich gerne verzichtet.”

Nicht nur von Amts wegen

Im übrigen, so der Fachmann, kämen die Anordnungen für neue Schilder nicht per se von Amts wegen, sondern vielfach auf Antrag der Bürger/innen zustande. „Sie glauben nicht, wie viele Einlassungen wir haben”, sagt Gesche. Ein Klassiker seien die Anträge auf Anwohnerparkzonen, etwas im ständig zugeparkten Ehrenfeld oder im Stadtparkviertel. Dazu kämen „Sonderwünsche”, die die Stadt erfüllt, wenn es denn sein muss. Gesche schildert den Fall eines Sanitätshauses, das einen Behindertenparkplatz beantragte, um es der gehbehinderten Kundschaft leichter zu machen. Nach einem Ortstermin wurde der Parkplatz gebilligt, inklusive des Schildes mit dem Rollstuhl. Dann machte des Sanitätshaus zu, ohne dass dies der Behörde bekannt wurde. So hing das Schild lange, lange da, als Ausweis auf einen Exklusiv-Parkplatz für Behinderte. Bis es irgendwann jemanden auffiel. Und dann entfernt wurde. – Warum fallen Schilder, die eigentlich überflüssig sind, nicht auf? „Weil wir nicht genügend Leute haben, um alle Schilder ständig auf ihre Berechtigung zu prüfen”, sagt Gesche.

Kein Wunder bei (hätten Sie's gewusst?) 80 000 Verkehrsschildern in Bochum.

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