Bochum. Am 20. März ist Internationaler Tag des Geschichtenerzählens. Kaum zu glauben: Ohne diese Fähigkeit hätte die Spezies Mensch nicht überlebt.
Geschichten hört und erzählt jeder gern – da kommt der „Internationale Tag des Geschichtenerzählens“ gerade recht. Er findet, wie seit 1991, wieder am 20. März statt und ist der Kunst des (mündlichen) Erzählens gewidmet – mit dem Ziel, Geschichten zu teilen, sich am Reichtum der Bilder, Sprachen und Geschichten zu erfreuen.
Geschichten im Theater der Gezeiten
Anlässlich des internationalen Tages des Geschichtenerzählens lädt das Theater der Gezeiten, Schmechtingstraße 40, morgen (20.) um 18 Uhr zu einem gemütlichen Leseabend ein.
Geboten werden Geschichten und Gedichte verschiedenster Genres, aus Deutschland wie aus dem „Rest der Welt“. Den Eintrittspreis bestimmen die Besucher selbst.
Für Bochum ist nur eine Veranstaltung angekündigt, aber man darf davon ausgehen, dass jenseits der abendlichen Lesung auch morgen wieder den ganzen Tag über Geschichten erzählt werden. Warum, ist einfach erklärt: „Das Geschichtenerzählen ist ein ur-menschliches Bedürfnis“, weiß der Germanist Prof. Ralph Köhnen (Ruhr-Uni).
Kulturelles Erbe
Anthropologisch ausgedrückt: Geschichten verschaffen der Spezies Mensch einen evolutionären Vorteil. Denn wäre Homo Sapiens nicht in der Lage gewesen, Erfahrungswerte weiterzugeben, hätte unsere Art wohl kaum überlebt. Die Überlieferung von Inhalten, das Wissen der Altvorderen, bildet die Grundlage für die Tradition als kulturelles Erbe.
„Durch das Erzählen von Geschichten werden sich Gesellschaften, und damit die Menschen, die in ihnen leben, über sich selbst klar“, so Ralph Köhnen. Das Spektrum reiche von den „unendlich vielen Geschichten“ des Privaten bis zu „großen Erzählungen“ von fundamentalen Religionen wie dem Christentum, die Identität und Sinn schaffen. „Aus dem germanistischen Blickwinkel betrachtet, kommen gesellschaftübergreifende Erzählungen der Literaturgeschichte dazu“, so Köhnen. Für den deutschen Kulturkreis mögen dazu etwas Goethes „Faust“ oder Thomas Manns „Zauberberg“ zählen.
Zusammenfassungen statt Original
Diese über Jahrhunderte gewachsene Überlieferung stockt heute. „Das ist das Problem“, sagt Köhnen. Immer weniger seien Jüngere bereit, sich mit langen Texten zu beschäftigen. „Man liest lieber gleich Zusammenfassungen, aber kaum mehr das Original“, hat der Germanist beobachtet. Diese veränderte Wahrnehmung hat auch mit dem Internet zu tun: „Dessen Hektik und Schnelllebigkeit befördern verkürzte Erzählanteile auch im Alltag“, so Köhnen.
Ist das ein Problem? Kommt darauf an. Es ist ja nicht so, dass das Erzählen selbst aus der Mode käme. So könnten Formate wie Poetry Slam, die unterhaltsam und prägnant, aber auch politisch-kritisch auf gesellschaftliche Bedingungen eingehen, zu „neuen Erzählungen“ werden. Auch Songtext von Rap bis Bob Dylan prägen nicht nur die Pop-Kultur, sondern die Gesellschaft insgesamt.