Bochum. . Rechtsanwalt Jürgen Widder macht jungen Juristen Mut bei der Berufswahl. Die Chancen seien „so gut wie nie“, weil weniger Juristen nachrücken.

Die Zeiten, in denen junge Juristen einem enormen Konkurrenzkampf unterlagen, weil es einfach so viele gab, sind vorbei. Was das für Nachwuchskräfte bedeutet, darüber sprach die WAZ mit Rechtsanwalt Jürgen Widder, Vorsitzender des Bochumer Anwalt- und Notarvereins.

WAZ: Wie beurteilen Sie die Berufschancen junger Juristen?

Widder: Sie sind so gut wie nie, richtig gut, weil wir einen deutlichen Rückgang an Juristen haben. Vor zehn Jahren hatten wir rund 2500 neue Volljuristen in NRW, jetzt sind es noch 1500. Damit sinkt auch die Anzahl der gut benoteten Volljuristen. Gleichzeitig haben wir in unserem Bezirk zahlreiche offene Richterstellen, die mangels Eignung nicht besetzt werden. Außerdem werden in den nächsten Jahren viele Richter pensioniert.

Wie sind die Geschlechter beim Nachwuchs verteilt?

Die Tendenz ist deutlich weiblich. In der jetzigen Arbeitsgemeinschaft der Referendare in Bochum sind 19 Teilnehmer, davon 13 Frauen.

Wie viele Rechtsanwälte sind in Bochum heute aktiv?

Im Amtsgerichtsbezirk sind 845 Anwälte gemeldet. Im Bochumer Landgerichtsbezirk – mit Herne, Witten und Teilen des Kreises Recklinghausen – 1490. In dieser Zahl sind auch ausländische sowie Syndikus-Anwälte (Anwälte in Unternehmen, Anm. d. Red.) enthalten.

Wie beurteilen Sie insgesamt die wirtschaftliche Situation der Bochumer Anwälte?

Die etablierten Kollegen haben ihr Auskommen. Ich sehe keinen besonderen Konkurrenzkampf, weil die Anzahl der jungen Anwälte gesunken ist. Allerdings muss man trotzdem sagen, dass der Anwaltsmarkt noch immer relativ gesättigt ist.

Anwalt für Familienrecht

Jürgen Widder arbeitet als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Familienrecht.

An der Jura-Fakultät der Ruhr-Universität waren im vergangenen Semester 4215 Studierende eingetragen. 57 Prozent davon sind weiblich.

Zum Jahresempfang des Anwaltvereins im Justizzentrum sprachen OB Thomas Eiskirch und Landgerichtspräsident Hartwig Kemner.

Auf was sollten angehende Juristen mit Blick auf die Berufswahl achten?

Eine gute Vorbereitung ist wichtig, um eine feste Anstellung zu bekommen. Viele aber halten es sich bis zum 2. Staatsexamen offen, welche berufliche Richtung und Profession sie einschlagen wollen. Besser wäre es, sich das schon während der Ausbildung zu überlegen. Man sollte kein Anwalt aus Verzweiflung, sondern aus Überzeugung werden. Es gibt durchaus junge Rechtsanwälte, die aus wirtschaftlichen Gründen in den ersten Jahren scheitern.

Welche Spezialisierungen halten Sie für am meisten zukunftsträchtig?

Man sollte auch innerhalb der jeweiligen Fachgebiete eine Auswahl treffen. Als Medizinrechtler zum Beispiel könnte man sich entscheiden: entweder die Patienten oder die Behandler. Man sollte gezielt Gruppen von Rechtssuchenden ansprechen und diese dann ausschließlich bedienen.

Wie beurteilen Sie die Bereitschaft der Bochumer Anwälte, sich auf die Digitalisierung des Rechtsverkehrs, die elektronische Akte und Datenübermittlung einzustellen?

Wer nicht mitmacht, sich nicht anpasst, wird verlieren. Die Bereitschaft, die schon jetzt vorhandenen Möglichkeiten wie etwa ein elektronisches Anwaltspostfach zu nutzen, könnte jetzt schon größer sein.