Bochum. . Ärzte in Bochum üben Kritik an der Krankenkasse Viactiv. Es geht um Rückzahlungen für Rezepte für Säurehemmer ohne ausreichende Diagnose.
Bochumer Haus- und Fachärzte üben massive Kritik an der Krankenkasse Viactiv. In bisher nie dagewesenem Umfang würden die Mediziner zur Rückzahlung verschriebener Medikamente aufgefordert. Apotheker schließen sich dem Protest an und sprechen von „schikanösem Gebaren“. Die Viactiv weist sämtliche Vorwürfe zurück.
„Wir werden unter latenten Betrugsverdacht gestellt“, schimpft Dr. Christian Möcklinghoff vom Medizinischen Netzwerk (MedQN) Bochum. „Man will auf unserem Rücken die Bilanzen verbessern“, wettert Dr. Lothar Rudolph vom Hausärztenetz. Seit 2017, schildern sie im Gespräch mit der WAZ, werden die Praxen mit Regressen der Viactiv überzogen. Fast immer geht es dabei um Protonenpumpenhemmer (meist Pantoprazol), die Sodbrennen lindern und die Magenschleimhaut schützen sollen.
Arznei soll vorbeugend wirken
Die Viactiv habe im Zuge ihrer Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei den Säurehemmern offenbar eine lukrative Einnahmequelle entdeckt, sagt Christian Möcklinghoff. Von bundesweit hunderttausenden Prüffällen ist beim MedQN die Rede. Auch in Bochum sehen sich etliche Ärzte den Zahlungsaufforderungen gegenüber, aktuell für Verordnungen aus 2014. Der Wortlaut ist stets gleich: Beim Versicherten läge „keine der zugelassenen Indikationen“ vor, die die Verschreibung der Protonenpumpenhemmer rechtfertige.
Krankenkasse zeigt sich gesprächsbereit
Die Viactiv zeigt sich den niedergelassenen Ärzten gegenüber gesprächsbereit. Bei den Protonenpumpenhemmern könne versucht werden, die Kriterien für eine Verschreibung „zu schärfen“, so Vorstand Roland Wien.
„Bedauerlich“ findet die Krankenkasse, dass eine bereits zugesagte Teilnahme an einer Veranstaltung des MedQN im November nicht zustande komme. Wien: „Das Netzwerk hat uns leider wieder ausgeladen.“
Hausarzt Rudolph verteidigt die Rezepte. Die Säurehemmer würden oft auch vorbeugend verordnet: etwa bei geriatrischen Patienten mit blutverdünnenden Medikamenten, denen dank des Magenmittels eine (deutlich teurere) Magenspiegelung oder stationäre Behandlung erspart blieben. „Es gibt immer Medikamente, die nicht exakt zur Diagnose passen, aber trotzdem helfen. Wir haben keine Lust, uns dafür wie Verfolgte zu fühlen“, sagt Rudolph und hat Widerspruch gegen den Regress (bei ihm 165,85 Euro) eingelegt.
Rückzahlungen zwischen 50 und 590 Euro
Die Viactiv mit Sitz an der Universitätsstraße rechtfertigt die Rückforderungen. „Wir stehen in der Pflicht, die Beiträge unserer 700.000 Versicherten sinnvoll einzusetzen“, sagt Vorstand Roland Wien. Bei den Prüfungen sei aufgefallen, dass die Verordnungen für Säurehemmer erheblich angestiegen seien, ohne dass eine zwingend erforderliche Diagnose vorgelegen habe. „Dem haben wir uns angenommen.“
Auch interessant
Ergebnis: Regresse in bundesweit 900 Praxen, davon 83 in Bochum, mit Rückzahlungen zwischen 50 und 590 Euro, von der Prüfstelle der Ärzte und Krankenkassen Westfalen-Lippe für rechtens erklärt. Von einer Bereicherung könne trotz des beträchtlichen Umfangs keine Rede sein, erklärt Bereichsleiter Markus M. Müller: „Mit Regressen haben wir 2017 rund 500.000 Euro erzielt – bei Gesamtausgaben von über 420 Millionen Euro für Arzneimittel.“
Apotheken: Die Angst geht um
Derweil sehen sich auch Apotheker als Opfer unrechtmäßiger Rückzahlungen. „Das ist schon bösartig“, sagt Dr. Inka Krude (Alte Apotheke 1691). Kleinste Formfehler – etwa eine fehlende Gebrauchsanweisung bei eigenen Rezepturen – führten zu „Nullretaxierungen“.
Krude: „Wir bleiben mitunter auf vierstelligen Beträgen sitzen. Die Angst geht um. Das kann existenzgefährdend sein.“