Bochum. WAZ-Interview mit Farat Toku. Der Bochumer ist nicht nur Spielleiter der SG Wattenscheid 09, er leistet auch humanitäre Hilfe.
Ein sonniger Tag im Lohrheidestadion, in den Mittagsstunden ist hier nicht all zuviel los. Aber die Geschäftsstelle ist besetzt, dort soll das WAZ-Gespräch mit Farat Toku stattfinden. „Einen Augenblick, unser Trainer kommt gleich“, sagt der Mann am Eingang. Und da ist er auch schon: Farat Toku, 38, ein drahtiger Typ im schwarzen Trainingsanzug, auf der Jacke leuchtet das Wappen der SG Wattenscheid 09. Sein Büro liegt im 1. Stock der Geschäftsstelle, es gibt Wasser und Kaffee. Und die erste Frage.
Sie sind seit vier Jahren Trainer der SGW 09, den Verein kennen Sie aber schon entschieden länger.
Toku: Er ist mein zweites Zuhause. 2003 habe ich als Spieler hier angefangen, und auch wenn ich zwischenzeitlich nicht im Ruhrgebiet tätig war, bin ich doch zurückgekommen. Bochum ist meine Heimat, Wattenscheid ein super Verein, der zu mir passt und den ich lange kenne. Auch den „Boss“ Klaus Steilmann durfte ich noch persönlich kennenlernen.
Jesidischer Glaube spielt eine große Rolle
Sind Sie gebürtiger Bochumer?
Ja, ich bin aus Steinkuhl, bin in Bochum zur Schule gegangen und aufgewachsen. Ich bin Deutscher mit kurdischen Wurzeln.
Biografische Notiz
Farat Toku wurde 1980 in Bochum geboren. Er ist Inhaber der Trainer-A-Linzenz und seit 2015 Trainer bzw. sportlicher Leiter der Fußballmannschaft der SG Wattenscheid 09.
Das Team von der Lohrheide steht aktuell auf Platz 11 der Regionalliga West (vierthöchste Spielklasse). Zu den Heimspielen kommen im Schnitt 1000 Zuschauer. Am Sonntag steht das Revier-Derby gegen Rot-Weiss Essen an.
Farat Toku war seit 2003 als Aktiver unter anderem für die SG Wattenscheid, Sachsen Leipzig, Preußen Münster und den TuS Heven am Ball. Im Sommer 2013 beendete er seine Karriere als Spieler.
Stationen als Trainer absolvierte der Bochumer beim Wuppertaler SV und dem SV Wilhelmshaven. Bis Sommer 2019 ist er vertraglich an die SG Wattenscheid 09 gebunden.
Sie spielen damit auch auf Ihren ezidischen Glauben an?
Religion und Glaube hin oder her: Ich finde, gerade in der heutigen, schnelllebigen Zeit sind ein friedliches Zusammenleben, und dass gewisse Werte nicht verloren gehen dürfen, sehr wichtig. Das fängt bei der Erziehung an. Das Ezidentum oder Jesidentum ist eine 4000 Jahre alte Religion, das Heiligtum der Eziden liegt im Nordirak und heißt Lalisch: ein für mich sehr emotionaler und spiritueller Ort voller Kraft und Energie.
Sind Sie selbst mal dort gewesen?
Ja. Ich versuche, wenn es möglich ist, ein oder zweimal im Jahr vor Ort zu sein. Es tut mir gut und ich kann dort abschalten. Mittlerweile hat man gute Kontakte, Freunde und Verwandte, auf die man sich freut. Als ich das erste Mal dort war und davon erfuhr, dass der IS die Eziden/Christen verfolgt und massakriert hat, ging mir das sehr nahe. Ich versuche, den Menschen zu helfen, die auf Hilfe angewiesen sind. Das Flüchtlingsdorf Ruhrgebiet ist dort errichtet worden, das wird von mir aktiv unterstützt.
Lebenserfahrung prägt auch Trainerarbeit
Der Unterschied zwischen dem Leben in Bochum und in Kurdistan könnte sicher nicht größer sein. Was hat Sie ursprünglich bewogen, dort hinzugehen?
Es geht um Gefühle, denen man zu folgen hat. Kontakte aufzubauen, eine Netzwerk der Hilfe zu schaffen, das lag mir einfach am Herzen, schließlich bin ich im jesidischen Glauben erzogen. Wenn man von einer Sache überzeugt ist, hat man auch die Kraft, etwas durchzuziehen. Man kann es schaffen, wenn man es will. Es ist nicht einfach und kostet Kraft und Energie, aber man muss sein Ziel stets im Auge behalten. Das gilt ja im Fußball genauso.
Sie bringen Ihre Lebenserfahrung in die Trainerarbeit mit ein?
Natürlich. Man hat inzwischen viel gelernt und viel gesehen, das fließt selbstverständlich mit ein. Ich habe gelernt: Es gibt im Leben nicht nur den einfachen Weg. Jeder Mensch hat ein Schicksal, das ihn prägt, und dem er sich stellen muss.
Fußballtrainer liest gerne
Wo finden Sie das wieder?
Bei meinen Spielern. Zum Beispiel, wenn der Spieler eine lange Verletzungspause hatte, und wir ihn wieder gesund bekommen und er wieder spielen kann. Oder wenn ein Spieler ein privates Problem hat und wir ein Vertrauensverhältnis haben, dass wir uns austauschen. Dass man einfach mal zuhört. Dass man den Spielern klar macht, dass vieles nicht selbstverständlich ist. Es sind die kleinen Sachen im Leben, auf die man achten sollte.
Haben Sie Zeit zum „Abschalten“, der Fußball und Ihre humanitären Aktivitäten fordern doch sicher stark?
Da stimme ich Ihnen zu, was die SG Wattenscheid 09 betrifft... Wenn man Lust und Zeit hat, muss man immer versuchen, Abwechslung im Leben zuzulassen. Ich lese gern, und nehme mir die Zeit. Vielleicht nicht die große, hohe Literatur, aber Bücher, die mich persönlich weiterbringen. Ein Buch über Engel, in dem Menschen ihre Erfahrung beschreiben, die sie mit Engeln gemacht haben, hat mich zuletzt fasziniert. Ebenso die Biografie des Tennis-Champions Novak Djokovic.
Bochum hat eine große kulturelle Vielfalt
Literatur und das Lesen sind das Eine, Theater und Musik das Andere. Würden Sie sich als kulturinteressierten Menschen bezeichnen?
Man versucht schon, wenn es die Zeit zulässt, die vielen Möglichkeiten, die uns die Stadt bietet, auch zu nutzen. Das neue Musikzentrum, den Starlight Express, das Schauspielhaus. Bochum tut viel für die Kultur und für den Sport, das schätze ich an meiner Heimtatstadt. Natürlich ist das Publikum in Kunst und Sport ganz unterschiedlich.
Welche Verbindungslinien gibt es zwischen Leistungssport und, sagen wir, dem Theaterspielen?
In erster Linie die Herausforderung, eine bestimmte Leistung abzuliefern. Die Öffentlichkeit erwartet das und die Spieler oder Schauspieler erwarten das auch von sich selbst. Sich selbst kennenzulernen, ist dabei sicher wichtig. Wenn man sich selbst kennt, wird man auch ehrlich sich selbst gegenüber. Man macht sich nichts mehr vor. So kann ein Lernprozess einsetzen, der zu außergewöhnlichen Leistungen befähigt.
Damit verbunden ist die Herausforderung, als Mensch, als Person zu wachsen?
Gewiss. Um es so zu sagen: Bevor der Sturm kommt, muss man lernen, sich zu stützten. Damit man standfest ist, wenn es mal nicht so läuft, wie man es gerne hätte.
Haben Sie eigentlich jemals Karl Mays „Durchs wilde Kurdistan“ gelesen?
Nein. Weil er nie dort war.