Bochum. . Angehörige um Suizid (Agus) treffen sich im Haus der Begegnung. Sie sprechen über Trauer, Schuld, Wut und die Frage „Wie kann es weitergehen?“
Davor. Danach. In diese Teile hat sich das Leben durch das Ereignis geteilt. Unangekündigt, grausam schmerzhaft und unveränderbar. Das „Ereignis“ ist der Suizid eines nahestehenden Menschen – Ehepartner, Kind, Geschwister, Lebensgefährte, Freund, Elternteil. Im Haus der Begegnung treffen sich Menschen, deren Leben sich durch den Suizid eines Angehörigen oder Freundes für immer verändert hat. „Nichts ist mehr wie vorher“, sagt Petra, die die Gruppe, welche zum landesweiten Netzwerk „AGUS“ gehört, leitet. „Als ich vor Jahren zunächst eine andere Gruppe besuchte, war ich erschrocken, dass Angehörige fünf Jahre nach dem Ereignis noch sehr betroffen sind“, berichtet sie. Ihr Ziel damals: Zurück zur Normalität. „Heute weiß ich, dass Normalität nun etwas anderes bedeutet.“
Wie kann ich weiterleben?
Fast alle stellen zwei Fragen. Wenn sie zurückblicken, ist dort das schwerwiegende „Warum?“, das immer unbeantwortet bleibt. Mit Blick in die Zukunft lautet die Frage: „Wie kann ich weiterleben?“. Antworten darauf erhoffen sich Teilnehmer der Gruppe.
Der Zeitpunkt, an dem Teilnehmer nach dem Ereignis zur Gruppe stoßen, ist unterschiedlich. „Ich kam nach einem halben Jahr“, sagt Bine. Georg war nach drei Wochen dabei. Von Anfang an hat er sich in der Gruppe aufgehoben gefühlt. „Der Verlust ist individuell, aber wir haben viel gemeinsam“, sagt Conny. Das Gefühlschaos. Trauer und die Frage „Wie soll es jemals besser werden?“, Schuldgefühle und die Frage „Hätte ich es sehen können?“, Wut und die Frage „Warum wurde mir das angetan?“
Vorgespräch vor dem ersten Besuch
„Bevor jemand zum ersten Mal zu uns kommt, gibt es ein Vorgespräch“, erklärt Petra. In der Gruppe gelten klare Regeln, etwa nicht ungefragt Ratschläge zu geben, sich aussprechen zu lassen oder keine Details über die Art des Suizides zu nennen. „Mein Umfeld wusste nicht, wie es mit mir umgehen soll“, sagt Georg. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, hätten viele lieber nichts gesagt. Bernd stimmt zu: „Meine Freunde waren ratlos, ob sie mich bemitleiden oder aufmuntern sollen.“ In der Gruppe habe er gleich gemerkt, dass man ihm auf eine ganz andere Weise zuhört.
Das Schweigen durchbrechen
Selbsthilfegruppen, Telefonseelsorge und Beratungsstellen
„AGUS e.V.“ ist eine bundesweite Selbsthilfeorganisation, die sich für die Interessen Suizidtrauernder einsetzt.
Die Bochumer Gruppe hat aufgrund der Größe eine Einteilung nach trauernden Eltern, Geschwistern, Kinder und Partnern vorgenommen. Infos zu den Treffen: bochum.agus-selbsthilfe.de
Hilfe für Ratsuchende in Lebenskrisen bietet auch die Bochumer Beratungsstelle Prisma unter: 0234/ 585 13.
Die Telefonseelsorge ist unter 0800/ 111 01 11 oder 0800/ 111 02 22 erreichbar.
Georg hat die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll war, das Schweigen zu durchbrechen. „Ich war erstaunt, wie viele Bekannte selbst in ihrem Umfeld mit dem Thema konfrontiert waren“, sagt er. „Oft reicht die Frage: „Wie geht es dir?“, um Anteilnahme zu zeigen“, findet Dieter.
„Wir verwenden die Begriffe Selbstmord oder Freitod nicht. Suizid hat nichts mit Morden oder mit einer freiwilligen Entscheidung zu tun“, so ein Gruppenmitglied. „Hier ist für mich ein Schutzraum, denn es werden keine Vorwürfe gemacht. Das habe ich leider erlebt.“, sagt Bine. Auch an anderer Stelle haben einige unsensibles Verhalten erfahren: mangelnde Notfallseelsorge oder plumpe Aussagen von Polizisten. „Ich habe gelernt, die guten Erinnerungen zu verfestigen und mir immer wieder vor Augen zu rufen“, sagt Georg. Die Gruppe hält immer wieder aufs Neue fest: „Es wird nichts mehr so wie es war, aber es wird anders schön.“