Menschen mit Hauterkrankungen tauschen sich monatlich in ihrer Selbsthilfegruppe aus. Gespräche helfen ihnen dabei, mit dem Leiden umzugehen.
In den Ohren eines Nicht-Betroffenen klingen Cordulas Worte erst einmal komisch: „Als sich alle, die in der Reha am Tisch saßen, gekratzt haben, war das ein schönes Gefühl“. Wer die Betonung heraushört, versteht, warum: alle. „Man war kein Aussätziger“, erklärt die 54-Jährige, die unter starker Neurodermitis leidet. Niemand fragte: „Was hast du da im Gesicht?“, „Warst du zu lange auf der Sonnenbank?“ oder gab Tipps aus der Apothekenumschau.
Erste Treffen im kleinen Kreis
Nach der Reha wollte Cordula sich dieses Gefühl erhalten. „Ich habe eine Selbsthilfegruppe gesucht und entschloss mich zur Gründung, als ich nicht fündig wurde“, sagt Cordula, die als Sozialarbeiterin tätig ist. Anfang 2016 formiert sich der erste kleine Kreis, vier bis fünf Teilnehmer zählt die Gruppe da.
Gruppe trifft sich am ersten Mittwoch im Monat
Neurodermitis gehört zum sogenannten atopischen Formenkreis. Sie gilt als erbliche Erkrankung, ist allerdings ebenso von Umweltfaktoren abhängig. Üblicherweise verläuft sie in Schüben.
Die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Hauterkrankungen trifft sich immer an jedem ersten Mittwoch im Monat. Treffpunkt ist dabei das Haus der Begegnung, Alsenstraße 19.
Aktuell sucht die Gruppe noch dringend nach Mitgliedern. Kontakt kann über die Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen unter 0234/ 5 07 80 60 aufgenommen werden.
„Ich bin über einen Flyer beim Hautarzt aufmerksam geworden“, erinnert sich Steffi. Auch sie leidet bereits seit Kindheitstagen an Neurodermitis. „Mein Gesicht, Dekolleté und meine Handrücken sind betroffen“, so Steffi. Das Problem verheimlichen? „Fast unmöglich. Man sieht es sofort“, sagt sie.
Quälender Juckreiz
Die Blicke der Mitmenschen setzen den Betroffenen zu. Ein anderer Aspekt ist der quälende Juckreiz. „Es macht dich fertig. Ich werde nachts wach und kratze, bis es blutig wird“, berichtet Cordula. Jede Stunde müsse sie ihr Gesicht eincremen, sie habe bereits dutzende Präparate getestet. Urlaub in feuchten Regionen, Schwitzen beim Sport und Schminke sei schwierig. Durch Cortison-Salben, Solebäder und Lichttherapie ist die Haut der Betroffenen oft pergamentartig, gerötet und vom Kratzen geschunden.
„Cortison wirkt sich negativ auf innere Organe aus und führt zu Wassereinlagerungen“, beklagt Steffi. „Mir helfen Schwarztee-Umschläge und Kühlen mit kaltem Wasser“, sagt Cordula. Auch Steffi hat damit positive Erfahrungen gemacht, weiß aber: „Jedem hilft etwas anderes. Ich vertrage Sonne und Salzwasser nicht, anderen hilft das.“ Austausch darüber findet in der Gruppe statt.
Krankheit als Teil des Lebens
Ausnahmslos hilfreich ist für alle Teilnehmer nämlich das Gespräch über die Problematik. „Wenn meine Haut schlechter ist, ist auch meine Seele empfindlicher“, beschreibt Steffi den Zusammenhang zur Psyche. „Wenn ich Stress habe, wirkt sich das negativ aus“, so die Altenpflegerin. Cordula kann den Zusammenhang bestätigen: „Die Haut ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Schutz. Und unserer ist durchlöchert.“ Es sei nicht leicht, sich unter diesen Umständen attraktiv zu finden. Von ihrem Umfeld wünschen sich die Hauterkrankten daher mehr Rücksicht. „Ich habe meinen Kollegen gesagt, dass ich nicht darauf hingewiesen werden möchte, wie schlecht ich aussehe. Ich brauche dann ein Kompliment, wenn ich gut aussehe“, so Steffi.
Sie habe durch die Erkrankung gemerkt, wie stark sie selbst sei und erinnert sich immer wieder daran, dass es noch schlimmer sein könnte. „Die Krankheit ist immer Teil meines Lebens, aber ich will sie nicht zum Mittelpunkt machen“, sagt Steffi weiter. „Wir sind sehr sensible Menschen“, hat Cordula erkannt. Das könne aber ein Vorteil sein. „Es ist nicht ansteckend“, stellen die Beiden klar. „Und wenn ich angeglotzt werde, dann glotze ich eben zurück“, sagt Steffi und lacht. Humor sei nämlich ebenfalls eine hilfreiche Strategie.
Psyche und Hauterkrankung im Wechselspiel
Der Dermatologe Dr. Thorsten Auer ist Mitglied im Dermatologenverein „Dermaticon“. Im Interview kommentiert er die Fülle an Ratschlägen bei Neurodermitis und die Wechselwirkung zwischen Psyche und Haut.
Welche Faktoren spielen bei der Neurodermitis eine Rolle?
Dr. Auer: „Die Neurodermitis ist größtenteils genetisch bedingt. Wir sprechen in der Medizin von „Atopie“ – das meint die angeborene Überempfindlichkeit. Die Betroffenen verhalten sich nicht falsch, sie reagieren im Gegensatz zu Mitmenschen in vergleichbaren Situationen jedoch im besonderen Maße. Ob sich die angeborene Neigung ausprägt, ist von verschiedenen auslösenden Faktoren abhängig – dazu zählen psychischer Stress über Ernährung bis hin zum Wohngebiet.“
Sie ist also nicht heilbar?
„Nein, aber sehr gut behandelbar. Durch regelmäßige Behandlung können wir eine deutliche Linderung erzielen. Natürlich hängt das auch immer von der Stärke der Erkrankung ab.“
Durch viele Faktoren ausgelöst
Betroffene berichten von einer Fülle an Ratschlägen. Auf wen sollten sie hören?
„In erster Linie auf ihre eigene Erfahrung und den behandelnden Arzt. Es stimmt, dass sich schulmedizinische Behandlungsmethoden – wo meist Medikamente und Cortison-Salben zum Einsatz kommen – von alternativer Medizin unterscheiden. Die Patientengruppe ist sehr inhomogen, daher muss man ein Stück weit selbst herausfinden, was individuell hilfreich ist. Für die schwer Betroffenen, bei denen bislang nichts mehr geholfen hat, gibt es jetzt aber Hoffnung: Vor kurzem sind neue Medikamente mit vielversprechender Resonanz auf den Markt gekommen.“
Wie erleben Sie in Ihrer Praxis den Zusammenhang zwischen Hauterkrankung und psychischem Leid?
„Es ist ein Wechselspiel: Stress führt bei sehr vielen Betroffenen zu Hautveränderungen und Hautveränderungen sind wiederum ein Stressfaktor. Dieser Teufelskreis ist unterschiedlich ausgeprägt und das Leidensempfinden stets individuell. Besonders schwer haben es Patienten, die aufgrund der Stärke ihrer Hauterkrankungen massive Entzündungen haben, seit Jahren keine Hautveränderungsfreiheit erleben und unter Begleiterkrankungen leiden. Sie werden erheblich in ihrer Lebensfähigkeit eingeschränkt. In der großen Gruppe der Neurodermitiker ist das jedoch der kleinere Teil.“