Bochum. . Gesprächsrunde klärt über intergeschlechtliche Menschen auf. Wissenschaftliche und persönliche Erkenntnisse werden mit Publikum geteilt.
Die erste Frage, die Moderator Holger Edmaier vom Projekt „100% MENSCH“ auf der Bühne im Kunstmuseum stellt, gehört in den meisten Talkrunden nicht zur Vorstellung – und doch ist sie an diesem Abend eine der wichtigsten: die nach dem Personalpronomen. „Ich bin als Mädchen groß geworden, auf der Arbeit bezeichnet man mich als ‚sie‘. Ich habe gelernt, damit zu leben. Doch es zuckt, wenn man mich mit ‚Frau‘ anredet“, sagt Stefanie Kohnke. Die bevorzugte Lösung: Einfach Steffi sagen.
Dritte Option auf Geburtsurkunden
Stefanie Kohnke aus dem Verein „Intersexuelle Menschen“ ist intergeschlechtlich, ebenso Lucie Veith, die im Kompetenzzentrum Inter* in Niedersachsen arbeitet. Zusammen mit Moritz Prasse von der Kampagne „Die Dritte Option“, Prof. Annette Richter-Unruh und Prof. Katja Sabisch diskutieren sie über das Thema. Ihr Ziel ist, sichtbar zu machen, dass das akzeptierte binäre Geschlechtersystem nicht ausreiche, um jedes Geschlecht zu erfassen. Das soll auch in Geburtsurkunden präsent werden.
Kritisch steht das Stichwort „Operation“ im Raum. Stefanie Kohnke und Lucie Veith erzählen von ihren Erfahrungen, davon, dass sie nicht über ihre Intersexualität und die Gründe für die Entfernung ihrer Geschlechtsmerkmale aufgeklärt worden sind. Nach wie vor werden Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen vorgenommen. „Sie sind meistens soziologisch motiviert“, sagt die RUB-Professorin für Gender Studies Sabisch. Mit ihrer Studie zur Situation von intergeschlechtlichen Kindern in NRW hat sie herausgefunden, dass sie für Eltern oftmals eine Ausnahmesituation darstellen. Was Beratung und Unterstützung angeht, sei also noch Luft nach oben.
„Ich versuche, immer zu verdeutlichen, dass der Nachwuchs ein Kind ist, nicht Mädchen oder Junge“
„Eltern stellen sich alltagsbezogene Fragen: Wie sage ich es den Nachbarn? Was ziehe ich meinem Kind an?“ Kinder- und Jugendärztin Richter-Unruh stellt Geschlechterkategorien in ihrer Behandlung in den Hintergrund: „Ich versuche, immer zu verdeutlichen, dass der Nachwuchs ein Kind ist, nicht Mädchen oder Junge.“
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Intersexualität scheint noch lange nicht ausreichend zu sein. Daher übrigens auch die Forderung nach der dritten Option beim Geschlechtseintrag: „Das Nichterfassen des Geschlechts passt nicht in die Zeit. Intersexuelle Menschen werden dadurch nicht sichtbarer. Die dritte Option ist eine Konfrontation und zwingt gewissermaßen zur Auseinandersetzung.“
>>> Gericht hält Regelung für verfassungswidrig
2013 sprechen Moritz Prasse und weitere Initiator_innen über die Idee, sich erneut für eine dritte Option beim Geschlechtseintrag einzusetzen.
2014 reicht die Kampagnengruppe den Antrag auf Änderung einer Geburtsurkunde zum Geschlechtseintrag „inter/divers“ ein. Dieser wird abgelehnt.
Im Oktober 2017 entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass die Regelungen des Personenstandgesetztes verfassungswidrig sind. Bis zum 31.12.2018 muss der Gesetzgeber eine neue Regelung inklusive dritter Option verabschieden.
Mithilfe ihrer Kampagne betreibt die Gruppe Aufklärung und macht nicht-binäre Menschen sichtbar.