Die neue WAZ-Serie beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Kohlekrise vor 50 Jahren auf Bochum. Dafür sucht die Redaktion auch Zeitzeugen.

Die Menschen vor 50 Jahren spürten ganz genau, was da passierte. Zu tausenden versammelten sich die Bergarbeiter – Kameraden, wie es damals noch hieß – auf Straßen und Plätzen, um zu kämpfen. Und genau in der Mitte dieses taumelnden Riesen Ruhr-Revier lag die Stadt Bochum. 1957 förderten auf dem Stadtgebiet noch 15 große Bergwerke mit zusammen 39 553 Beschäftigten; nicht gerechnet all die kleinen und Kleinst-Zechen. Nur fünf Jahre später hatte sich diese Zahl halbiert. Den Anfang machte die Bochumer Kleinzeche Lieselotte, die am 30. September 1958 als erste Schachtanlage im Ruhrgebiet stillgelegt wurde. Im Jahr davor hatte sie noch mit 112 Mann 24 000 Tonnen Fettkohle gefördert.

Der Steinkohlenbergbau verlor in dieser Zeit allein in Bochum 19 843 Arbeitsplätze. Ein Schlag, ein Tiefschlag, von dem sich diese Stadt nicht mehr erholen würde, fürchteten jedenfalls damals viele Menschen. In den ersten Jahren der Kohlekrise traf es keine Stadt heftiger.

In einer mehrteiligen Serie wird sich die WAZ-Bochum mit diesem Thema beschäftigen. Dazu suchen wir auch die Gesichter dieser Zeit, suchen die Menschen, die sich etwa an jenem 25. Januar 1959 in den Zug der Bergleute einreihten, um in und vor der großen BV-Halle (Untere Stahlindustrie) Heinrich Gutermuth zuzuhören. Insgesamt 80 000 Menschen versammelten sich an diesem denkwürdigen Tag. Der (noch) mächtige Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau sprach in dieser ohnmächtigen Situation sogar von einem „wirtschaftlichen Stalingrad". Das Beispiel bedrückte damals ganz besonders, denn die Erinnerungen an diese schreckliche Schlacht war noch frisch, der Krieg gerade 15 Jahre vorbei.

Wir suchen Teilnehmer der großen Demonstration auf dem Husemannplatz vor der Kulisse des gerade fertiggestellten Landgerichts. Fahnen, schwarze und solche mit Parolen, flatterten über den Köpfen der Masse der 10 000. Doch da sind einzelne Gesichter zu erkennen, auch Frauen sind darunter, die ihre Männer an diesem 5. September 1959 begleiteten. Da war aus der Ungewissheit vom Jahresbeginn schon mehr Klarheit geworden.

Bochum sollte ins Mark getroffen werden. Für den Jahresbeginn 1960 stand gleich die erste Schließung an. Am 27. Februar, einem Samstag, fuhren etwa 600 Bergleute der Zeche Prinz Regent ein. Aus einer Tiefe von 800 Metern förderten sie die letzten 800 Tonnen Kohlen ans Tageslicht. Es folgen nur ein Jahr später die Zechen Engelsburg und Friedlicher Nachbar. Ein Jahr später standen auch die Seilscheiben der Zeche Bruchstraße still. Damit hatte sich in nur gut zwei Jahren die komplette Bochumer Bergbau AG als Teil der Gelsenkirchener Bergbau AG (GBAG) sozusagen selbst aufgelöst.

Wir suchen die Menschen, die sich vor 50 Jahren ihrer Zukunft beraubt sahen, die zu Wanderarbeitern – wenn überhaupt – wurden. Wir suchen auch die Geschichten, die persönlichen Erlebnisse ihrer letzten Schicht. Vielleicht gibt es ja auch Fotografien, Andenken, die bis heute in den Wohnungen und Häusern der Bergleute von einst überdauert haben.

Ein halbes Jahrhundert ist all das her und – wir reiben uns die Augen – schon wieder kündigt sich ein Bruch an. Was damals die Rettung brachte, die Ansiedlung von Opel, Grätz schon 1956, aus dem später das Nokia-Werk, wurde, brachte sie nur für eine gewisse Zeitspanne: Die Retter von einst sind die Kranken von heute.