Körperliches Leid, psychische Krankheit oder Abhängigkeit: Der Rucksack vieler Menschen wiegt schwer. Selbsthilfegruppen unterstützen Betroffene.

William Shakespeare soll einmal gesagt haben: „Beklage nicht, was nicht zu ändern ist, aber ändere, was zu beklagen ist.“ So unterschiedlich und bunt sie auch sind: Alte oder junge, viele oder wenige Teilnehmer, häufige oder seltene Treffen, mit oder ohne Leitfaden, neu oder lange zusammen, selbst betroffen oder angehörig – diesen Satz würden wohl alle Selbsthilfegruppen unterschreiben. Und noch eine Gemeinsamkeit haben die mehr als 250 Selbsthilfegruppen: Sie helfen sich bei den Veränderungen und Herausforderungen in ihrem Leben gegenseitig, tauschen sich aus.

Der Rucksack, den viele Menschen auf ihrem Rücken tragen, ist oft schwer bepackt. Körperliches Leid oder psychische Krankheit, Hürden bei der Lebensbewältigung oder Abhängigkeit. Die WAZ widmet diesen Gruppen eine eigene Serie und fragt: „Wie sieht Selbsthilfe genau aus?“, „Wie laufen Sitzungen ab?“, „Was gibt die Gruppe den Mitgliedern?“ und „Ist Selbsthilfe für Jeden sinnvoll?“

Ergänzende Expertenstimmen

Mit Besuchen bei Gruppen aus den unterschiedlichsten Bereichen – von alleinerziehenden Müttern über Essstörung bis zu Krebs – wollen wir Einblicke geben, die ein Spaziergang durch die Innenstadt auf den ersten Blick verborgen hält. Denn wie sieht ein Depressiver, ein ADHSler oder ein Alleinerziehender schon aus?

Wir wollen auf die unsichtbaren Rucksäcke blicken, sensibilisieren und zum Nachdenken anregen: „Kann Selbsthilfe auch etwas für mich sein?“ und „Habe ich vielleicht selbst Vorurteile?“ Die Serie zeigt: Viele Betroffene sind Meister im Verstecken und leider oft voller Scham. Wir hinterfragen: „Ist das notwendig?“ und „Was wünschen sich die Mitglieder von ihrem Umfeld?“

Auswahl von Gruppen

Das Gefühl, nicht alleine zu sein, sich verstanden zu wissen und sich nicht erklären zu müssen, nennen viele als das größte Pfund der Selbsthilfe. Auch ganz praktische Hinweise und Experteneinschätzungen haben Raum in der Serie. So ordnen etwa Mediziner, Psychologen oder Sozialarbeiter das jeweilige Thema ein und liefern einen fachlichen Blick. Auch Kontaktadressen und weitergehende Verweise wird es geben.

Die Auswahl der Gruppen, die wir vorstellen, erfolgte dabei aus mehreren Gesichtspunkten: Mit der Bereitschaft der Gruppe an erster Stelle, wollen wir die Bereiche chronische (körperliche) Erkrankung, psychische Krankheit und Fragen der Lebensbewältigung abdecken. Ebenso sollen unterschiedliche Träger und sowohl Angehörige als auch Betroffene repräsentiert sein.

Selbsthilfe motiviert

Ein Anspruch auf Vollständigkeit ist bei mehr als 250 Gruppen natürlich nicht gegeben. Stellvertretend für die vielen Gruppen, zeigt die Auswahl aber, wie bunt und vielfältig Selbsthilfe aussehen kann. Die Selbsthilfegruppen betonen stets: „Unser Problem kann auch eine Chance sein“ – Chance auf neue Sichtweisen und Veränderung im Leben, neue Bekanntschaften oder einen außergewöhnlichen Alltag. Außerdem motivieren sie: „Ein Problem zu haben ist nicht schlimm, es ist nur schlimm, nichts dagegen zu tun. Probiert aus, ob Selbsthilfe etwas für euch ist!“

In diesem Sinne wollen wir auch mit folgendem Sprichwort in die Serie starten: „Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen man nichts tun kann – nämlich gestern und morgen.“

Jahr für Jahr neue Gruppen

Die Sozialpädagogin Dorotheé Köllner arbeitet bei der Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen. Dort bekommen auch Gruppen in der Gründungsphase Hilfe. Fragen und Antworten:

Dorotheé Köllner arbeitet in der Kontaktstelle des Paritätischen .
Dorotheé Köllner arbeitet in der Kontaktstelle des Paritätischen . © Ingo Otto

Wie viele Selbsthilfegruppen gibt es in Bochum?

Derzeit gibt es etwa 260 Selbsthilfegruppen. Jedes Jahr kommen neue dazu, andere lösen sich auf. Sie decken die Bereiche chronische und psychische Erkrankungen, Behinderungen, Lebensbewältigung und Sucht ab – die Palette ist riesig. Viele davon stellen sich alle zwei Jahre bei einem Selbsthilfetag vor. Auch in diesem Jahr: Am 14. Juli werden zwischen 30 und 40 Gruppen am Dr.-Ruer-Platz dabei sein und geben direkt Auskunft.

Was muss man bei der Gründung einer Selbsthilfegruppe beachten?

Wenn jemand mit einem Problem zu uns kommt, für welches wir selbst kein Angebot machen können, schlagen wir unter Umständen die Gründung einer Gruppe vor. Die Kontaktstelle begleitet Gruppen in der Startphase und bietet verschiedene Module an. Dazu zählt beispielsweise das Suchen von Interessenten. Man muss sich nämlich genau überlegen, wen man mit der Gruppe ansprechen möchte – angefangen beim Altersspektrum bis zu der Frage, ob sich die Gruppe an Betroffene oder auch Angehörige richtet. Wir helfen auch bei der Suche nach Räumlichkeiten. Im Haus der Begegnung, einem unserer Kooperationspartner, treffen sich insgesamt rund 50 Selbsthilfegruppen.

Wie erklären Sie sich den Erfolg von Selbsthilfegruppen?

Das größte Pfund ist, dass die Menschen merken: Ich bin nicht alleine. Sie finden bei Gleichgesinnten Verständnis und müssen sich nicht erklären. Es gibt aber Voraussetzungen: Ein Mensch ist nur selbsthilfefähig, wenn er zuhören kann und sich auf Andere und ein Gemeinschaftsgefühl einlassen kann. Hier in der Kontaktstelle beraten wir, ob zunächst eine Klinik, Therapie oder Selbsthilfegruppe infrage kommt.

Hinweise zur WAZ-Serie

Auf Wunsch und zum Schutz der Gruppenmitglieder verzichten wir im Allgemeinen auf Nennung der Nachnamen. Auch Fotos der Betroffenen wird es weitgehend nicht geben. In der Online-Version der Serie finden unsere Leser auch Audiomitschnitte von Interviews und Statements. Ebenso wird es eine interaktive Karte mit Gruppen in Bochum geben.

Wenn eine weitere Selbsthilfegruppe Interesse an einer Berichterstattung hat, kann sie sich gerne melden, per Mail an redaktion.bochum@waz.de. Eine Übersicht der Bochumer Selbsthilfegruppen findet sich auf www.selbsthilfe-bochum.de