Bochum. . Einer der 30 statistischen Bezirke in Bochum sind die Kruppwerke. Aber kaum jemand, der dort im Westen lebt, nennt sein Viertel so.

Willi erinnert sich gerne an früher. Als die Goldhammer Straße noch eine Einkaufsstraße war, wie er sagt. Als es noch sieben Metzger gab, drei Drogeriemärkte und drei Bäcker. Und Kneipen an jeder Ecke. „Hier war was los“, sagt Willi, der seinen ganzen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Willi (links) lebt seit 1950 in Goldhamme, das Teil der Kruppwerke ist. Cedric Sontowski ist Inhaber der Kneipe „Zum Deutschen Haus“.
Willi (links) lebt seit 1950 in Goldhamme, das Teil der Kruppwerke ist. Cedric Sontowski ist Inhaber der Kneipe „Zum Deutschen Haus“.

Von alldem ist nicht mehr viel übrig geblieben, auch nicht von den Kneipen. Eine der wenigen, die sich gehalten hat, ist das Lokal „Zum Deutschen Haus“ an der Ecke Essener/Goldhammer Straße. Seit einem Jahr gehört es Cedric Sontowski, 28 Jahre alt. Willi, 74 Jahre alt, kommt oft zu ihm. Auch an diesem Mittag sitzt er an der Theke, hinter sich die Spielautomaten, vor sich die Zapfanlage, als erster Gast des Tages. Man gibt sich die Hand, plaudert ein wenig, trinkt ein Bier oder Wasser. Seit 1950 lebt Willi hier, der Vater war Bergmann, er selbst sollte es auch werden, aber überall hätte er angefangen, „nur nicht auf dem Pütt“.

Dass dieser Teil von Bochum, seine Heimat seit der Kindheit, offiziell Kruppwerke heißt, „interessiert uns nicht“. „Das ist Goldhamme und bleibt auch Goldhamme.“

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Als der thailändische König zu Besuch kam

Überhaupt Krupp, das habe sich nie richtig eingebürgert. „Die alten Leute sagen immer noch Bochumer Verein.“ Die vier Werke, die heute zum Stadtteil Kruppwerke gehören, waren bis zur Übernahme durch das Essener Unternehmen in den 60er Jahren in der Hand des Bochumer Vereins: Werk Höntrop an der Essener Straße, Stahlwerk Weitmar an der Kohlenstraße, Werk Gussstahl an der Alleestraße und das Werk Stahlindustrie an der Stahlhauser Straße. „Doch nach und nach ging das alles pleite.“

Willi erinnert sich noch, wie im Jahr 1960 der thailändische König Bhumibol zu Besuch war, wie die Kohlenstraße gesperrt war, die schwarze Limousine zu den Werken fuhr. „Damals hat hier jeder gut gelebt.“ Und heute?

Arbeitslosenquote und Ausländeranteil sind hoch

Die Geschäfte sind weggezogen, die Lokale haben zugemacht. Wo früher Einzelhandel war, ist heute Leerstand. Die Straßenzüge sind geprägt von Wohnhäusern au den 50er Jahren. Die Arbeitslosenquote und der Ausländeranteil sind hoch. Das Durchschnittsalter und -einkommen sind niedrig. „Die Kneipenkultur gibt es nicht mehr“, sagt Cedric Sontowski, dessen Lokal „Zum Deutschen Haus“ mehr als doppelt so alt ist wie er.

Einer, der sein Leben um die Ecke des deutschen Hauses verbracht hat, ist Hans-Gerhard Schamberger. Sein Geschäft, das gut als „Tante-Emma-Laden“ durchgeht, gibt es seit 1928. Gegründet von seinen Großeltern übernahmen es seine Eltern, vor 16 Jahren dann er. Die nächste Generation, sein Sohn, hilft aus.

„Kruppwerke? Diese Stadtteilbezeichnung kenne ich gar nicht“, sagt der 60-Jährige. Für ihn sei seine Straße, die Vereinsstraße, ein nördlicher Zipfel von Weitmar, oder eben Goldhamme. Ein Name, der sich anders als „Hundhamme“ gehalten hat. Früher gab es beide Bezeichnungen, aus denen schließlich Hamme wurde.

Stadtumbau und Investitionen im Westend

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In Schambergers Kindheit, da arbeiteten die meisten im Viertel bei Krupp, wobei auch er sagt: „Für die Alten blieb es der Bochumer Verein oder kurz BV.“ Der, von dem es heißt, dass Berthold Beitz ihn bei seinem ersten Besuch für einen Fußballverein gehalten hatte. „Da war es schon sehr dreckig bei uns.“ In einer Wohnung hätten so viele gelebt, wie heute in einem Haus.

Mit der Eröffnung eines Stadtumbaubüros im Jahr 2007 begann ein großes Investitionsprogramm im Westend. Das Quartier umfasst die Viertel Griesenbruch, Stahlhausen und Goldhamme. Spielplätze wurden gebaut, Häuser saniert, Integrationsarbeit gefördert. „Das kommt alles 30 bis 40 Jahre zu spät“, sagt Willi.

Hans-Gerhard Schamberger führt eines der wenigen Geschäfte in Kruppwerke.
Hans-Gerhard Schamberger führt eines der wenigen Geschäfte in Kruppwerke.

Das zeigt sich auch an den Zahlen, die sich in den vergangenen Jahren nicht gebessert haben: Nirgends leben die Bochumer auf kleinerem Wohnraum (58,1 Quadratmeter), nirgends ist er günstiger, nach Wattenscheid-Mitte gibt es hier die meisten Arbeitslosen und die meisten Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld. „Manche sagen böse, das hier sei die Bronx“, sagt ein Postbote, der nach Feierabend ein Bier im deutschen Haus trinkt. Willi entgegnet: „Tja, der Letzte macht das Licht aus.“

Wie sich statistische Bezirke und Gemeinden unterscheiden 

In unserer Statistikserie haben wir statistische Bezirke anhand von Zahlen portraitiert. Dass die sich nicht immer mit dem Herkunftsgefühl der Bewohner decken, ist vermutlich nicht nur in Kruppwerke so. Auch die Südinnenstadt – früher gab es auch noch eine Nordinnenstadt – oder das Gleisdreieck sind künstliche Einordnungen, die Statistiker geschaffen haben, um Zahlen vergleichen zu können.

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„Die Bezeichnungen sind historisch gewachsen“, erklärt Heike Feldmann, Leiterin des Fachbereichs Statistik der Stadt. So entstand beispielsweise die Bezeichnung Kruppwerke erst mit dem Beschluss des Hauptausschusses und der Bezirksvertretungen zum 1. Januar 1981, als die 30 statistischen Bezirke, wie sie heute existieren, festgelegt wurden – zu einer Zeit, in der Krupp im Bochumer Westen sehr aktiv war. Blickt man in das statistische Jahrbuch aus dem Jahr 1978, finden sich auf dem heutigen Kruppwerke-Gebiet noch die Bezirke Griesenbruch und Engelsburg. „In statistischen Bezirken dürfen Einwohnerzahlen nicht zu groß und nicht zu klein sein“, erklärt Feldmann. „Die Raumordnungskonzepte sind sehr vielschichtig.“

Gemeinden stehen im Grundbuch

Kauft man in Bochum Eigentum, stehen nicht die statistischen Bezirke, sondern die Gemeinden im Grundbuch. „Nach der napoleonischen Besatzung 1816/1817 wurden die politischen Gemeinden eingerichtet“, erklärt Andreas Halwer vom Zentrum für Stadtgeschichte. In eigenen Gemeinderäten wurden damals alle Belange verwaltet. Vieles hat sich seitdem geändert, in den Jahren 1904, 1926 und 1929 wurden zahlreiche Ortschaften nach Bochum eingemeindet, zuletzt dann Wattenscheid im Jahr 1975.

Eine statistische Bezeichnung ist doch aber eine sehr historische: Das Gleisdreieck, die Bochumer City, entstand in den 1860er und 1870er Jahren durch das Verlegen der Schienen durch die bergisch-märkische und die rheinisch-nördliche Eisenbahn. Und so ist dieser Bezirk auf der Landkarte deutlich als Dreieck zu erkennen, umgeben von Gleisen.