Bochum. . Spätestens 11,5 Minuten nach der Alarmierung soll Bochums Feuerwehr an der Brandstelle sein. „Das ist zu spät“, kritisert die Gewerkschaft Verdi.
Nicht weit genug gehen nach Ansicht der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die Maßnahmen der Stadt, um den Brandschutz in Bochum zu verbessern. Der neue Brandschutzbedarfsplan greife zwar etliche bestehende Mängel auf und enthalte viele Verbesserungen, wie es in einer Stellungnahme der Verdi-Fachgruppe Feuerwehr heißt. Aber gerade im Hinblick auf die neu festgelegte Hilfsfrist gebe es noch Nachholbedarf.
So überschreite der Plan die von der Arbeitsgemeinschaft der 107 Berufsfeuerwehr-Chefs (AGBF) vorgeschlagenen Zeit, in der die ersten Kräfte in einem Brandfall vor Ort eintreffen sollten. Spätestens 9,5 Minuten nach der Alarmierung, so die Empfehlung, sollten die Retter eintreffen. 11,5 Minuten gibt Bochums neuer Brandschutzbedarfsplan vor.
Das reiche nicht, so die Gewerkschaft, und verweist auf eine vom Bundesinnenministerium unterstützte Studie. Diese geht von einer Reanimationsfrist von 17 Minuten aus. „In diesen 17 Minuten ist eine Meldefrist von 3,5 Minuten enthalten. Das bedeutet, von der Entstehung eines Brandes bis zur Entdeckung und Alarmierung der Feuerwehr verbleiben gerade mal im Durchschnitt zwei Minuten, um eine Person nach Eintreffen der Feuerwehr zu retten. (3,5 Minuten Meldefrist + 11,5 Minuten Hilfsfrist = 15 Minuten).
Ein Dorn im Auge ist der Gewerkschaft außerdem, dass einige Aufgaben der Feuerwehr an Dritte vergeben werden sollen, wie das Abstreuen von Ölspuren. Defizite weise der Bedarfsplan auch bei der Aus- und Weiterbildung auf.
CDU: Viele Fragen noch ungeklärt
Nächste Woche soll der Rat den bis 2022 gültigen Brandschutzbedarfsplan verabschieden. Und nicht nur Verdi setzt sich kritisch mit dem 300 Seiten umfassenden Papier auseinander. Auch die CDU-Ratsfraktion äußert Unmut. Sie bemängelt, dass es ursprünglich keine Beratungen in den Bezirksversammlungen geben sollte und dass die Verabschiedung einem „Schweinsgalopp“ gleichkomme, so Fraktionsvorsitzender Christian Haardt. Zudem seien zahlreiche Fragen ungeklärt. Dazu gehörten Kosten und Zeitplan für den Bau einer vierten Feuerwache und die Zusicherung, dass die Freiwillige Feuerwehr bis Ende 2019 ihre neue persönliche Schutzkleidung erhalte. „Denn das“, so Haardt, „stand schon im jetzigen Brandschutzbedarfsplan“.
Feuerwehr-Chef sieht Defizite
Eine neue Feuerwache, mehr Personal, moderne Alarmtechnik für die Leitstelle, neue Ausrüstung. Der Wunschzettel der Feuerwehr ist lang. „Es gibt Defizite, und die möchten wir gerne angehen“, sagt Feuerwehr-Chef Simon Heußen. Im neuen Brandschutzbedarfsplan ist nachzulesen, an welchen Stellen die Experten Nachholbedarf sehen und welche Ziele sich die Feuerwehr bis 2022 setzt. Die WAZ stellt die Eckpfeiler des Bedarfsplans vor, der nächste Woche im Rat verabschiedet werden soll.
Wozu dient der Brandschutzbedarfsplan?
Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Kommunen Pläne für den Einsatz der öffentlichen Feuerwehr aufstellen, umsetzen und spätestens alle fünf Jahre fortschreiben. Darin sollen die erforderlichen organisatorischen und materiellen Voraussetzungen genannt werden, um ein vorgegebenes Sicherheitsniveau erreichen zu können.
Welches Sicherheitsniveau strebt Bochum an?
Jede Gemeinde entscheidet selbst über das eigene Schutzziel und orientiert sich in den Bereichen „Brandbekämpfung“ und „Technische Hilfeleistung“ an Qualitätsvorgaben der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF). Bei der Brandbekämpfung strebt Bochums Feuerwehr an, in mindestens 90 Prozent der Fälle nach der Alarmierung mit zwölf Funktionen (als Funktion wird ein Feuerwehrmann mit spezifischer Qualifikation bezeichnet) spätestens nach 11,5 Minuten vor Ort zu sein und drei Minuten später noch mit weiteren vier Funktionen anzurücken. Die Rede ist von einer „deutlichen Qualitätsverbesserung“, da der Maßstab nicht das erste eintreffende Fahrzeug sei, „sondern zwölf Funktionen verfügbar vor Ort sein müssen“, wie es heißt.
Vorgeschlagen wird der Ausbau der Rettungswache an der Hattinger Straße
Sind die Voraussetzungen dafür erfüllt, dieses Schutzziel zu erreichen?
Aus Sicht der Feuerwehr und eines unabhängigen Gutachters nicht in allen Fällen. Von den bestehenden drei Feuerwachen an der Bessemer Straße, in Wattenscheid und Werne aus sind vor allem Brände im Süden und Südwesten der Stadt in der vorgegebenen Zeit kaum zu erreichen. Deshalb soll für den Bereich Süd/Südwest eine vierte Feuerwache eingerichtet werden. Vorgeschlagen wird dazu der Ausbau der Rettungswache an der Hattinger Straße. Sobald die Politik den Brandschutzbedarfsplan genehmigt hat, würden die Zentralen Dienste prüfen, ob der genannte Standort geeignet ist. Durch einen Ausbau müssten 31 neue Stellen geschaffen werden. Insgesamt meldet die Feuerwehr einen zusätzlichen Bedarf von 47 Stellen an.
Wie groß ist die Feuerwehr bislang?
Die Berufsfeuerwehr verfügt über 316 Einsatzkräfte, für die derzeit jährliche Personalkosten in Höhe von 18,4 Millionen Euro anfallen. Dazu kommen außerdem noch 377 aktive Kräfte in der Freiwilligen Feuerwehr.
Wie ist das Ausrüstungsniveau?
Vorgemerkt für eine reguläre Ersatzbeschaffung sind 30 von insgesamt 112 Fahrzeugen, bei denen die Frist zum Zeitpunkt des Austausch bereits bis zu zwölf Jahre überschritten ist. „Damit ist mehr als ein Drittel des Fahrzeugbestandes zum Zeitpunkt seiner Ersatzbeschaffung überaltert“, heißt es in dem Bedarfsplan. Durch die neue Abteilung „Technik“ und durch personelle Verstärkungen soll der Fahrzeugbestand mittelfristig verjüngt werden.
Zehn Millionen Euro werden in diesem Jahr investiert
Wie geht es jetzt weiter?
„Ich würde mich freuen, wenn der Bedarfsplan so schnell wie möglich verabschiedet werden würde“, sagt Feuerwehr-Chef Simon Heußen. Er hofft, dass die neue Feuerwache spätestens bis zum Ende des Laufzeit des neuen Bedarfsplans fertiggestellt ist. In mehreren Ausschüssen wurde das Thema bislang nicht diskutiert, da einzelne Fraktionen noch Beratungsbedarf hatten. Der zuständige Dezernent Sebastian Kopietz hat derweil bereits angekündigt, dass in diesem Jahr zehn Millionen Euro in die Berufs- und Freiwillige Feuerwehr investiert werden. Nächstes Jahr sollen dann noch einmal acht Millionen Euro ausgegeben werden. Vorbereitet wird außerdem eine gemeinsame Ausschreibung mit der Stadt Herne. Beide Kommunen wollen die gleichen Leitstellentechnik anschaffen. Bei einem Ausfall des Systems in einer Stadt könnte die Leitstelle der anderen Stadt dann einspringen. Auf diese Weise sollen Kosten für eine jeweils eigene Ersatz-Leitstelle eingespart werden.
>>> Faktoren des Gefahrenpotenzials
Bei der Analyse des Gefahrenpotenzials der Stadt Bochum werden Faktoren wie Siedlungsstruktur, Topographie, Wohnbebauung, Gewerbe und Industrie sowie Infrastruktur berücksichtigt.
Dazu kommen Betriebe mit besonderen Risiken, Objekte mit erhöhter politischer und gesellschaftlicher Symbolkraft wie Einrichtungen der Polizeiausbildung sowie die Justizvollzugsanstalt.