Bochum. . Die WAZ-Familie trauert um ihren Großvater, der mit 59 Jahren starb. Das Fehlen einer Patientenverfügung machte die letzten Stunden zum Albtraum.
Es schmerzt. Immer wieder rinnen Tränen über die Wangen von Susan Kuriewicz (38), wenn sie über den Tod ihres Vaters spricht. 16 Tage vor Weihnachten starb Thomas Erler. Viel zu früh. Im Alter von gerade mal 59 Jahren. Die WAZ-Familie trauert. Und hat, um schlimme Erfahrungen reicher, ein dringendes Anliegen. „Setzt euch in der Familie mit dem eigenen Tod auseinander. Sprecht auch über das Sterben“, sagt Susan. „Kümmert euch rechtzeitig darum, die letzten Dinge zu regeln. Am besten mit einer Patientenverfügung.“
Großvater lächelt liebevoll, der Enkel strahlt in die Kamera: Das gerahmte Foto von Opa Thomas und dem damals dreijährigen Anthony hat einen Ehrenplatz bei den Kuriewicz’ in Wiemelhausen. „Gradlinig, ehrlich, zielstrebig, mitunter dickköpfig: Papa und ich waren uns sehr ähnlich“, sagt Susan. „Die Familie war ihm das Wichtigste. Uns sollte es gut gehen. An sich hat er zuletzt gedacht.“
Papa macht auf starker Mann
Wohl deshalb ist Susan als einziger Tochter lange Zeit nicht bewusst, wie es um ihren Vater steht. Zwar weiß sie seit Anfang 2017: Papa, zuletzt lange als Lüftungsmonteur am Frankfurter Flughafen beschäftigt, ist krank. Doch in seiner thüringischen Heimatstadt Meiningen, wo er mit seiner Frau Annette (58) und deren Eltern lebt, macht er noch im Oktober beim Besuch der fünf Kuriewicz’ ganz auf starker Mann. Wird schon wieder! „Für uns“, erinnert sich Susan, „schien da nichts, worüber man sich ernsthaft hätte Sorgen machen müssen. 59, dachten wir, das ist ja kein Alter!“ Heute weiß sie: „Er war todkrank. Aber er wollte uns nicht belasten.“
Erst im Dezember wird die bittere Wahrheit laut ausgesprochen. Susans Mutter ruft an: „Komm’ her, wenn du Papa nochmal lebend sehen willst.“ Susan rafft das Nötigste zusammen und macht sich sofort auf den Weg in ihre Heimat, die sie 2012 mit ihren beiden Söhnen aus erster Ehe verlassen hatte, um mit Hannes Kuriewicz in Bochum eine Familie zu gründen.
Hannes nimmt Leo (4), ihren gemeinsamen Sohn, mit zur Arbeit. Mama wird in Thüringen gebraucht. Sie ist entsetzt über den Zustand ihres Vaters. Direkt nach ihrer Ankunft, am Nikolausabend, wird Thomas Erler ins Krankenhaus gebracht. „Eine Ärztin sprach es offen aus: ,Ihr Vater wird sterben’“, schildert Susan. Ein Schock, der sich durch Versäumnisse der Vergangenheit zum Albtraum auswächst. Thomas Erler hat keine Patientenverfügung, in der er erklärt, ob er lebensverlängernden Maßnahmen zustimmt und wer für ihn Entscheidungen treffen darf.
Albtraum im Krankenhaus
„Die Ärzte wollten eine künstliche Magensonde legen. Papa stand wegen seiner furchtbaren Schmerzen unter Morphium. Deshalb wurden Mutter und ich gefragt, ob Papa das gewollt hätte.“ Die sonst so starke Susan, jetzt ist auch sie hilf- und ratlos, verzweifelt. Die Ärzte entscheiden: Der Patient muss entscheiden. Das Morphium wird abgesetzt. Sofort kehren die Schmerzen zurück. „Papa wurde gedrängt, etwas zu sagen. Doch richtig zur Besinnung kam er nicht mehr. Er konnte es einfach nicht. Es war grauenhaft.“
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Letztlich ist es Susan, die bestimmt: „Ich will nicht, dass mein Papa weiter leidet.“ Sie weiß: Es ist die einzig richtige Entscheidung. Und doch bleiben Schuldgefühle. „Dazu hätte es niemals kommen müssen, wenn es eine Patientenverfügung gegeben hätte. Auch dafür machen wir uns Vorwürfe.“
Am 8. Dezember, nachts um 2.45 Uhr, stirbt Thomas Erler. Friedlich. Offenbar schmerzfrei. Susan „funktioniert wieder“, wie sie sagt, organisiert gleich am nächsten Morgen die Urnen-Beisetzung („auch eine Entscheidung, die uns überlassen blieb“). Düst schnell zurück nach Bochum. Denn: Von Opas Tod sollen die drei Jungs nicht am Telefon erfahren. „Das musste ich ihnen selbst sagen.“ Anthony (13) und Bryan (10) sind tief erschüttert und weinen. Gut so: „Wir haben ihnen immer vorgelebt, dass man Gefühle zeigen und rauslassen darf und soll.“
Den beiden Großen stellen die Eltern frei, ob sie bei der Beisetzung dabei sein wollen. Am 15. Dezember stehen alle Fünf vor der Urne, an der Lindenbergs „Hinterm Horizont geht’s weiter“ erklingt. „Es war richtig. Nur so lässt sich angemessen Abschied nehmen“, glaubt Vater Hannes.
Opa soll stolz auf seine Enkel sein
Was bleibt? Susan wacht bis heute jede Nacht Punkt 2.45 Uhr auf. Anthony nimmt regelmäßig das gerahmte Bild mit Großvater zur Hand und verspricht, „mich im Leben ganz doll anzustrengen, damit Opa stolz auf mich ist“. Und: Eine Patientenverfügung wird bei den Kuriewicz’ spätestens jetzt zur Pflicht. Aus Vorsorge. Aus Fürsorge. Aus Liebe zur Familie.
>>> Was die Verbraucherzentrale für den letzten Patientenwillen empfiehlt –und was ein Psychologe Eltern rät, wenn Oma oder Opa stirbt
- Krankheit, Unfall: Schnell kann es passieren, dass man nicht mehr eigenständig über seine medizinische Behandlung entscheiden kann. „Für die Angehörigen ist es dann sehr belastend, den mutmaßlichen Patientenwillen zu benennen und durchzusetzen“, weiß Verbraucherberaterin Iris Markowski und empfiehlt, rechtzeitig eine Patientenverfügung zu verfassen. Das sollte dabei beachtet werden:
Beschreiben Sie typische Krankheitszustände, in denen Sie nicht mehr selbst entscheiden können, wie etwa: Todesnähe, unheilbare Krankheiten im Endstadium oder Demenz.
Ein Notar ist für die Verfügung nicht erforderlich.
Wie verhalten sich Eltern richtig, wenn Oma oder Opa stirbt?
LWL-Klinikchef Prof. Georg Juckel rät zur Offenheit: „Kinder entwickeln ab acht Jahren ein Todesbewusstsein. Sie erkennen: Der Tod gehört zum Leben. Deshalb sollten sie – behutsam, liebevoll, mit Trost und Dankbarkeit – schon in den Sterbeprozess eingebunden werden und sich möglichst verabschieden können.“ Die Teilnahme an der Beisetzung – vielfach ein Streitpunkt – sei „ein Meilenstein“ für Kinder: allerdings erst ab dem zehnten, elften Lebensjahr.