Bochum. . Eine seltene Krankheit hatte Hassans Hautoberfläche zu 60 Prozent zerstört. Dann wagten seine Ärzte eine neuartige Gentherapie.
- Das Katholische Klinikum und das Bergmannsheil berichten von einem weltweit einzigartigen Projekt
- Einem heute neunjährigen Flüchtlingsjungen wurden 80 Prozent der Oberhaut transplantiert
- Das Labor-Verfahren mit einer italienischen Universität gilt in seinen Dimensionen als weltweit einmalig
Als „weltweit einzigartig“ bezeichnen die Bochumer Kinderklinik und das Bergmannsheil eine Haut-Transplantation, die einen erfolgreichen Abschluss gefunden hat: Ein neunjähriger, zuvor todgeweihter Junge steht wieder mitten im Leben.
„Wir sind sehr stolz“, sagte Dr. Tobias Rothoeft, Oberarzt der Kinderklinik, am Mittwoch im Telefonat mit der WAZ. Mit Dr. Tobias Hirsch, Oberarzt am Bergmannsheil, nahm er am Mittag mehrere Pressetermine in Italien wahr. Denn: Die Bochumer Fachärzte und die Universität von Modena hatten Bahnbrechendes zu verkünden: Erstmals sei es gelungen, einem Patienten mit einer nahezu körpergroßen künstlichen Haut das Leben zu retten.
Experten waren anfangs ratlos
Hassan heißt der kleine Patient, der vor zwei Jahren auf der Kinderintensivstation des St.-Josef-Hospitals aufgenommen wurde. Der damals siebenjährige Sohn einer syrischen Flüchtlingsfamilie leidet unter der „Schmetterlings-Krankheit“: ein genetisch bedingtes Hautleiden, das als unheilbar gilt.
Die Haut ist extrem verletzlich, so wie die hochempfindlichen Flügel eines Schmetterlings. Jede Berührung, jeder Stoß verursacht Blasen und Wunden. Die Haut wird sukzessive zerstört.
Junge wog nur noch 17 Kilo
„Als Hassan zu uns kam, waren 60 Prozent seiner Oberhaut verloren. Er hatte hohes Fieber und wog nur noch 17 Kilo. Sein Leben war massiv gefährdet“, berichtet Rothoeft. Mit dem Bergmannsheil bildet das Katholische Klinikum zwar das Brandverletztenzentrum der Ruhr-Uni mit hoher Expertise. Doch alle etablierten Therapien schlugen bei Hassan fehl: „Ein derartiger Fall stellte auch uns vor Rätsel.“
Neue Haut in Reinlabor gezüchtet
Antworten fanden die Bochumer Mediziner bei ihrer Literatur-Recherche in Norditalien. Das Zentrum für regenerative Medizin der Universität Modena gilt als führend in der Herstellung künstlicher Haut.
Mit Zustimmung von Hassans Eltern konnte das deutsch-italienische Gemeinschaftsprojekt beginnen. In Bochum wurden dem Jungen Hautpartikel entnommen, in Modena mit intakten Genzellen angereichert, in einem Reinraumlabor gezüchtet und als Transplantate nach Bochum zurückgeschickt.
Haut in drei Operationen verpflanzt
Knapp einen Quadratmeter misst die neue Haut, die Hassan bei drei Operationen transplantiert wurde: auf Arme und Beine, den Rücken, Bauch, Hals und Gesicht, 80 Prozent der Körperoberfläche. Damit gilt Hassan als weltweit erster Patient, der in einem derartigen, fast körpergroßen Umfang mit im Labor erzeugter Haut versorgt wurde.
Hassan hat die Eingriffe gut überstanden. Nach siebeneinhalb Monaten in der Kinderklinik lebt der tapfere Junge inzwischen wieder bei seiner Familie und besucht die Grundschule. „Das“, sagt Dr. Rothoeft, „freut uns am allermeisten.“