Bochum. . 46 Lehrerstellen sind derzeit in Bochum unbesetzt. Um die Lücken zu schließen, werden immer mehr Lehrer ohne entsprechendes Studium eingestellt.

  • Der Bedarf an Lehrkräften kann oft nicht über die Lehramtsabsolventen gedeckt werden
  • Deshalb greifen viele Schulen auf Seiteneinsteiger zurück, die aus anderen Bereichen kommen
  • Sie werden über verschiedene Qualifizierungsmaßnahmen für den Beruf fit gemacht

Zuletzt war Michael Nowicki selbstständig, als Fitnesstrainer und Ernährungsberater; Christian Leismann hat sich halbherzig um eine Stelle als Ingenieur bemüht, Philipp Senge ist als Vertriebler für Sportartikel und Sportevents durch die Gegend gereist. Drei Männer mit unterschiedlichen Lebensläufen. Eines aber haben sie gemeinsam: Sie arbeiten heute als Lehrer – und das ohne Lehramtsstudium.

Damit sind sie längst keine Exoten mehr: 2016 wurden acht Bochumer Lehrstellen mit Seiteneinsteigern besetzt, in diesem Jahr sind es bereits 19. In ganz NRW sind im vergangenen Jahr 580 Seiteneinsteiger eingestellt worden – ein Anteil von 8,4 Prozent. Und die Zahlen steigen weiter.

Engpass bei „MINT-Fächern“

Fünf Stellenausschreibungen, die „für Bewerber und Bewerberinnen ohne entsprechende Lehramtsbefähigung geöffnet“ sind, weist das Onlineportal des NRW-Schulministeriums aktuell für Bochum aus: Die Grundschule Günnigfeld sucht zum Beispiel einen Sportlehrer, mit beliebigem Zweitfach, die Lieselotte-Rauner-Hauptschule braucht Lehrer für Physik, Chemie, Sport und Technik.

Insgesamt 46 Lehrerstellen sind derzeit in Bochum unbesetzt – ohne die Seiteneinsteiger wären es mehr. Generell seien vor allem Fachlehrer für die „MINT-Fächer“ Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik schwer zu finden, sagt Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg.

Auch die Berufskollegs brauchen dringend Personal: So konnte Christian Leismann (31) vier Tage nach seinem Vorstellungsgespräch am Walter-Gropius-Berufskolleg anfangen. Zunächst nur als Vertretungslehrer für Mathe und Elektrotechnik, bald aber beginnt sein „Referendariat für Seiteneinsteiger“, eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung, an dessen Ende er das Staatsexamen ablegt und dann den Lehrern mit Lehramtsstudium gleichgestellt ist – Verbeamtungs-Chance inklusive.

Gehaltsunterschied wird in Kauf genommen

Auch Michael Nowicki (35), der an der Werner-von-Siemens-Hauptschule Sport und Englisch unterrichtet, arbeitet auf Festanstellung und Verbeamtung hin. Diese Aussicht hat Philipp Senge (49) nicht. Sein Gehalt wird dauerhaft niedriger sein als das der meisten Kollegen. Ein bisschen darüber ärgern könnte er sich schon, doch nach drei Wochen als Lehrer überwiegt das Gefühl, „endlich etwas sinnvolles zu tun“. Dafür habe er „bewusst in Kauf genommen, dass ich mich finanziell schlechter stelle“.

Ulrich Kriegesmann, Bochumer Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält die Seiteneinsteiger prinzipiell für eine große Hilfe, sofern sie „intensiv nachqualifiziert werden“ – wie durch die zweijährige Ausbildung, die Nowicki und Leismann durchlaufen. Kürzeren Qualifizierungsphasen steht er kritisch gegenüber. Die größten Probleme sieht er aber bei der Rekrutierung von Vertretungslehrern, mit denen akute Personalengpässe überbrückt werden. Hier werde viel zu wenig geschult und kontrolliert.

Positive Erfahrungen in Flüchtlingsklassen

Christian Leismann, der selbst als Vertretungslehrer angefangen hat, bewertet das eher positiv: Er habe viele Freiräume gehabt. Den Unterricht in drei Flüchtlingsklassen, gleich zu Beginn, beschreibt er als „bereichernde Erfahrung“.

Was Kollegen und Schulleiter angeht, sind die drei Seiteneinsteiger voll des Lobes, als „Lehrer zweiter Klasse“ hätten sie sich nie gefühlt. Und auch von Überforderung ist keine Rede. Heute, sagt Philipp Senge, sei er viel entspannter als in seinen 14 Jahren als Vertriebler.

>>> INFO: Mehrere Wege führen in den Lehrberuf

Je nach Qualifikation können Seiteneinsteiger eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung („OBAS“) absolvieren, an deren Ende das Staatsexamen steht. Danach sind sie ihren Lehramtskollegen gleichgestellt.

  • Auch die einjährige „pädagogische Einführung“ befähigt zum Lehrberuf – aber ohne Chancen auf Beförderungen oder Verbeamtung.