7000 Stahlarbeiter protestieren vor dem Bochumer Colosseum
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Bochum. . Gegen die geplante Fusion von Thyssen-Krupp-Stahl und Tata demonstrieren 7000 Stahlarbeiter in Bochum. Lautstark machen sie ihrem Ärger Luft.
Beschäftigte aus der ganzen Region sind am Freitag über die Allestraße zum Colosseum gezogen
Sie bangen um ihre Jobs. Thyssen-Krupp Stahl will 2000 Stellen streichen
Proteste auch gegen die Pläne, den Unternehmenssitz in die Niederlande zu legen
An der Spitze läutet die uralte Glocke aus Bochumer Gussstahl, hinter ihr marschieren knapp 7000 Stahlarbeiter. Sie sind gekommen aus dem Siegerland, aus Duisburg und Gelsenkirchen, aus Witten und Dortmund, von der Castroper und der Essener Straße.
Ihre Proteste richten sich gegen die anstehende Fusion der Stahlsparten von Thyssen-Krupp und Tata. Sie bangen um ihre Arbeitsplätze und kritisieren die geplante Verlegung des Unternehmenssitzes von Duisburg in die Niederlande.
Um 8 Uhr füllt sich der Bereich vor Tor Süd
Morgens früh haben die Stahlkocher ihre Arbeit niedergelegt. (Liveticker zum Nachlesen) Nach 8 Uhr füllt sich der Eingangsbereich vor Tor Süd. Dutzende Busse bringen Kollegen aus der Region. „Stahlarbeiter kämpfen international um jeden Arbeitsplatz“, heißt es auf einem Transparent, „Verkauft nicht unsere Zukunft“ auf vielen anderen.
Die Bundestagskandidaten Axel Schäfer (SPD) und Sevim Dagdelen (Die Linke) nutzen die Gelegenheit, sich mit den Arbeitern zu solidarisieren. „Es geht um Menschen, nicht um Kapitalinteressen“, sagt der Sozialdemokrat Schäfer.
Bochumer Werke sind am Freitag stillgelegt
Mitglieder und Kandidaten der MLPD verteilen Flugblätter, erinnern an Opel. Es war zuletzt der Autobauer, davor der Handy-Hersteller Nokia, durch deren Werksschließungen allein in Bochum tausende Arbeitsplätze versorgen gingen. Nun stehen wieder Entlassungen an. „Ich bin niedergeschlagen und habe Angst um meinen Job, einfach Existenzsorgen“, sagt Frank Balzk.
Als Anlagebediener arbeitet der 53-Jährige seit 22 Jahren am Werk an der Castroper Straße. Der Protest komme zu spät, sagt er, aber „besser jetzt als wenn wir das sang- und klanglos mit uns machen lassen.“
Stimmen der Stahlarbeiter bei der Demo in Bochum
Dogan Nuri (47), Duisburg
"Wir sind sauer, weil wir nicht gefragt werden. Jede Fusion kostet Arbeitsplätze und Kosten werden auf unsere Schultern verteilt. Es geht nicht nur um unsere Zukunft, sondern auch im die unserer Kinder und Enkel. Auch von der IG Metall bin ich enttäuscht, da sie alles zulässt."
Robert Laurenz (50), Dortmund
"Die Konzernführung teilt uns mit, dass Einschnitte nicht vermeidbar sind. Das glaube ich auch. Doch die Informationspolitik ist unsauber. Wir erfahren Entscheidungen, die lange vorbereitet waren. Wenn es zu einer Fusion kommt, sollten die Aussagen vom Konzern überprüft werden."
Sandra Wiesemann (37), Hagen
"Die Risiken werden uns nicht genannt. Dies ist ein bitterer Beigeschmack. Die Ausgliederung der Edelstahlwerke hatte auch einige Arbeitsplätze gekostet. An unserem Standort sind die Auftragsbücher voll, aber wir wollen die Kollegen aus Bochum unterstützen."
Edgar Liese (51), Bochum
"Ich bin sehr verärgert. Wir werden ohne Vorabinfos vor Tatsachen gestellt. Ich denke schon an meinen Job und dessen möglichen Verlust. Daran hängt meine Existenz. Daher ist es wichtig, dass wir vor Ort ein Zeichen setzen und uns alle gegenseitig unterstützen."
Philipp Göbel (20), Gelsenkirchen
"Wir arbeiten an einem kleinen Standort, die ja oft schnell wegrationalisiert werden. Nach den Betriebs- und Bestandsschutz bis 2020 rechne ich nicht mit einer rosigen Zukunft. Der Konzernvorstand sprach immer von Offenheit und Transparenz. Aber jetzt kommt es uns vor wie ein Sprung ins kalte Wasser."
Maurizio Romano (46), Duisburg
"Wir wissen alle nicht, ob unser Job noch sicher ist. Mit diesem Gefühl in diesen Tagen arbeiten zu gehen, ist scheiße. Wenn es zur Fusion kommt, kann jeder an drei Fingern abzählen, was passiert: Tata wird schauen, was gebraucht wird, der Rest wird geschlossen. Werke, die am schlechtesten laufen, werden direkt geschlossen."
Cornelia Sonnemann (60), Dortmund
"Wir haben bereits auf Gehalt verzichtet, um Arbeitsplätze zu sichern. Dass die Nachrichten zur den Vorhaben des Konzerns nicht auf direktem Wege zu uns gelangen, ist unbefriedigend. Wir können durch die Demo Einfluss ausüben, aber die Entscheidung nicht kippen. Hier zu sein, gibt uns trotzdem ein besseres Gefühl."
Klaus Lehmbrink (57), Bochum
"Ich fühle mich betrogen. Es wurde schon vorher ein Film gedreht, von dem keiner wusste. Niemand weiß nun, welchen Standort es trifft, theoretisch könnte es überall zu Schließungen kommen. Besonders sorge ich mich um meine jungen Kollegen, die Familie und noch ihre gesamte Zukunft vor sich haben."
Muhsin Onsekiz (54), Duisburg)
"Man weiß nicht, was noch passiert. Unsere Zukunft ist nun nicht
mehr sicher. Daher haben wir im Werk alles stehen und liegen
lassen, um ein Zeichen zu setzen - gegen Schließungen bei Thyssen-Krupp."
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Beide hiesigen Werke sind am Freitagvormittag stillgelegt, über tausend Bochumer Arbeiter kommen zur Kundgebung. Mit ihren Kollegen der anderen Standorte ziehen sie die knapp zwei Kilometer über die Essener Straße und die Alleestraße bis zum Colosseum. Zu klein sei der Schauplatz für die Kundgebung, hatten manche befürchtet, aber es wird nicht zu eng. „Wir sind hier an einem Industriedenkmal“, sagt Dirk Sievers, Betriebsratschef an der Castroper Straße. „Wir brauchen keine weiteren Industriedenkmäler.“
Andrea Nahles erntet Applaus für impulsive Rede
Willi Segerath, Konzernbetriebsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp ärgert sich vor allem über die Kommunikation. „Wir werden nicht informiert und erfahren alles über Pressemitteilungen. So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Die Stahlarbeiter hatten am Mittwoch über Flugblätter von der Einigung zwischen Thyssen-Krupp und Tata erfahren.
Mit lauter, kratziger Stimme macht Arbeitsministerin Andrea Nahles ihrem Ärger Luft. „Ich hasse es, immer wieder passiert es: Die lagern ihre Standorte aus, um Steuern zu sparen.“
Für ihre impulsive Rede erntet sie viel Applaus, auch wenn es vorher Buh-Rufe aus dem Publikum gegeben hat.
OB Eiskirch: „Es geht um tausende Schicksale“
Auch die Oberbürgermeister aus Essen, Duisburg und Bochum verbünden sich mit den Arbeitern: „Wir stärken euch den Rücken“, sagt Thomas Eiskirch stellvertretend. „Es geht um tausende Einzelschicksale.“
Peter Kranold hat diese Worte schon oft gehört. 30 Jahre war er angestellt bei Thyssen, 20 weitere hat er Projekte für den Konzern geleitet. „Das Thema begleitet mich mein Leben“, sagt der 70-jährige Bochumer, der seit kurzem in Rente ist. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, heute mit den Kollegen zu protestieren. Aber ich bin schlechter Hoffnung.“
Thyssenkrupp-Protest von Bochum aus der Vogelperspektive
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