Bochum. . Immer mehr Kinder leben in Familien mit psychisch kranken Eltern. In Bochum erzielt ein bundesweit einzigartiges Theaterprojekt erste Erfolge.

  • Ärzte und Erzieher schlagen Alarm: Immer mehr Kinder leben in Familien mit psychisch kranken Eltern
  • In Bochum wurde ein Netzwerk geknüpft, das rechtzeitige und umfassende Hilfe bieten soll
  • Ein Baustein ist ein bundesweit einmaliges Theaterprojekt, in dem Kinder ihren eigenen Alltag darstellen

Fachärzte, Kliniken und Krankenkassen schlagen Alarm: Immer mehr Menschen leiden an psychischen Erkrankungen. Eine Entwicklung, die längst auch die Jugendhilfeeinrichtung St. Vinzenz spürt. Sie hat ihre Unterstützung für Kinder seelisch kranker Eltern ausgeweitet. Ein bundesweit einzigartiges Theaterprojekt gilt dabei als wichtiger Baustein.

Kinder, die sich selbst überlassen sind, weil Mutter oder Vater erkrankt und mit dem Alltag komplett überfordert sind: Den St.-Vinzenz-Betreuern offenbaren sich Depressionen oder Burnout-Phasen von Eltern beim schwächsten Glied: den Kindern. Die Zahl der betroffenen Jungen und Mädchen steigt, beobachtet Leiterin Petra Funke und spricht von einem „kranken System.

Die Kinder erfahren keinerlei Betreuung. Die Familien sind vielfach isoliert“. Bei alleinerziehenden Müttern zeige sich das Problem besonders häufig. Bedrohlich: Manche Kinder machen sich die Ängste der Eltern zu eigen – und werden selbst krank.

Lehrer weisen auf Probleme hin

Der St.-Vinzenz-Verein hat den verhängnisvollen Trend frühzeitig erkannt. Schon vor zehn Jahren wurde in Bochum begonnen, ein Netzwerk zu knüpfen. Die LWL-Klinik mit ihrem Direktor Georg Juckel, Krankenkassen wie die AOK und das Jugendamt zählen zu den Partnern. Allesamt haben sie ein Ziel. Funke: „Wir müssen mehr für die Kinder psychisch kranker Eltern tun!“ Aus Fürsorge. Aus Vorsorge.

Meist sind es engagierte Lehrer, die das St.-Vinzenz-Team auf gefährdete Schüler aufmerksam machen. Am Imbuschplatz kommen die Jungen und Mädchen zwischen sechs und 16 Jahren zu Gruppenstunden zusammen, in denen sie – häufig erstmals – untereinander und mit Experten über ihre Sorgen, Nöte und Furcht reden. „Das hilft oft schon weiter“, beobachtet Erziehungsleiterin Mechtild Real.

Beispielloses Theaterprojekt

Beispiellos ist das Theaterprojekt, das 2016 am Imbuschplatz gestartet wurde. Das Zeitmaul-Theater, das in der St.-Vinzenz-Kapelle eine neue Heimat gefunden hat, holt die Kinder auf die Bühne. Unter der Leitung der Schauspielerin Maria Wolf (Ehefrau von Frank Goosen) üben sich die Schüler als Darsteller – und thematisieren in den selbst entwickelten Stücken genau den Alltag, der so mächtige Schatten auf ihr junges Leben wirft.

Sie „spielen“ ihre Eltern. Den Vater als dauergehetzten Büroangestellten, der daheim nur noch auf die Couch fällt. Die Mutter als depressives Nervenbündel, die tagelang nicht aus dem Bett kommt.

Nicht nur für die sechs Kinder und Jugendliche, die beim ersten Theaterprojekt mitwirkten, waren die Aufführungen im Frühjahr unvergesslich. Petra Funke: „Auch einige Eltern hatten die Kraft, zur Premiere zu kommen.“ Was dort passiert, habe alle „tief bewegt. Die Kinder waren auf der Bühne einfach großartig – und die Eltern so gerührt und mächtig stolz!“

Anlass, die Bühne ein zweites Mal zu bereiten: mit Beginn der neuen Gruppenstunden nach den Ferien.

>>> INFO: Alarmierender Trende

Ein weiterer Partner des St.-Vinzenz-Vereins ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie der St.-Josefs-Helios-Klinik in Linden.

  • Leiter Dr. Andreas Richterich bestätigt den alarmierenden Trend der Kinder- und Jugendhilfe: 50 Prozent der Jungen und Mädchen, die in Linden betreut werden, stammten aus Familien mit psychisch kranken Eltern.