Bochum. . Ralf Stremmel legt mit „Industrie und Fotografie“ ein beeindruckendes Buch vor. Die Geschichte des Hüttenwerks von 1856 bis 1926 lebt auf.

  • Ein neuer Fotoband dokumentiert die Geschichte des Bochumer Vereins
  • Das Hüttenwerk zählte bis lange nach dem Krieg zu den größten Europas
  • Heute sind nur wenige Bauten dieser einstigen Stadt in der Stadt erhalten

Im Gedächtnis dieser Stadt lebt er fort, ist nie untergegangen: der Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation. Jetzt gibt es ein neues Buch über dieses einst nach Krupp wohl einflussreichste deutsche Stahlunternehmen, das diesem Mythos gleichsam ein Antlitz gibt. „Industrie und Fotografie“ lautet denn auch der Titel dieses Buches von Ralf Stremmel.

Dem Autor ist etwas gelungen, das mit Sicherheit weit mehr ist als eine Auswahl von 263 Fotografien, die die Entwicklung dieses einst die Stadt Bochum im wahrsten Sinne des Wortes beherrschenden Stahlunternehmens dokumentiert.

263 sorgfältig editierte Fotos

Der Würdigung dieses wichtigen Buches vorausgeschickt seien die nackten Zahlen, das fotografische Grundmaterial, aus dem Ralf Stremmel schöpfen konnte. Mit der Übernahme des Bochumer Vereins durch den Krupp-Konzern etwa von 1958 an (allein dieser über den schwedischen Millionär Leonard Wenner-Gren eingefädelte Deal, der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wieder eine Stahlbasis geben sollte, ist ein Industrie-Krimi. Dies unter geschickter Ausnutzung gewisser Freiräume, die die Alliierten Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ließen), wanderte auch das riesige Fotoarchiv mit rund 125 000 Aufnahmen nach Essen.

Gymnastik junger Mitarbeiterinnen des B.V. im Werkshof. Die ungewöhnliche Aufnahme von 1926 zeugt von den sozialen Einrichtungen und Anstrengungen des Unternehmens.    
Gymnastik junger Mitarbeiterinnen des B.V. im Werkshof. Die ungewöhnliche Aufnahme von 1926 zeugt von den sozialen Einrichtungen und Anstrengungen des Unternehmens.   © Historisches Archiv Krupp

Es ist heute Bestandteil des Historischen Archivs Krupp an der Villa Hügel. Diese Bochumer Sammlung ist eine der umfangreichsten eines deutschen Industrieunternehmens überhaupt. Die 263 jetzt veröffentlichten, sorgfältig editierten Aufnahmen wurden aus 2500 Fotos ausgewählt, die vor 1927 entstanden.

1927 die Selbstständigkeit verloren

Die Zeitspanne von 1854 bis 1926 wurde bewusst gewählt, weil der Bochumer Verein 1927 erstmals seine Selbstständigkeit verlor, um in den Vereinigten Stahlwerken aufzugehen.

Doch nun zu den Fotografien selbst. Es ist schwer, aus der Fülle der Aufnahmen einzelne hervorzuheben. Zunächst sei angemerkt, dass die Einteilung und Abgrenzungen der Fotografien in dem vorliegenden aufwändig gestalteten Band sehr sinnvoll ist.

Das Buch zeigt auch Bilder der Arbeiterkolonien

Jedoch finden sich nicht nur unter dem Kapitel „Außerhalb der Werkstore“ etliche Aufnahmen, die etwa die sozialen Einrichtungen, insbesondere die umfangreich und gut dokumentierten Arbeiterkolonien, zeigen. Sie zeichnen das Leben der Stadt Bochum in der Hochzeit ihres rasanten, letztlich auf das Erstarken des Bochumer Vereins zurückzuführenden Wachstums und Wandels vom Ackerbürger-Flecken zur Großstadt eindrucksvoll nach.

Riesige Werkstücke wie dieses Kugelschiebergehäuse, Gewicht 20 Tonnen, waren eine Spezialität des B.V. Aufnahme von 1926.
Riesige Werkstücke wie dieses Kugelschiebergehäuse, Gewicht 20 Tonnen, waren eine Spezialität des B.V. Aufnahme von 1926. © Historisches Archiv Krupp

Immer wieder zeigt sich die enge Verzahnung zwischen der Stadt und ihrem Industrieunternehmen. Da gelingt es, mit alten Glasplatten-Negativen verblüffende Wirklichkeiten zu dokumentieren. Neben den damals üblichen Industrie-Aufnahmen, die Stahlarbeiter neben gewaltigen Werkstücken, furchteinflößenden Kanonen oder sorgfältig arrangiert vor einem Dampfhammer zeigen, sind es die Schnittstellen zwischen Werk und Stadt, die ein Nebeneinander gegenseitiger Abhängigkeit und Verbundenheit dokumentieren.

Größter Arbeitgeber

Denn bis heute blieben Bruchstücke des gewaltigen Werks erhalten. Es war eine Stadt in der Stadt, mit in der Spitze deutlich mehr als 20 000 Beschäftigten, mithin der bis in die 1960er Jahre mit Abstand größte Bochumer Arbeitgeber. Erst das Opel-Werk löste das da schon unter Krupp-Führung stehende Unternehmen in dieser Rolle ab.

Diese Landmarken, etwa der an der Essener Straße erhalten gebliebene ehemalige Akkumulatorenturm des Werks Höntrop, die Stützmauer des Stahlwerks, heute als „Colosseum“ bekannt, oder die Reste der Arbeiter- und Werksbeamtenkolonien in Stahlhausen und Höntrop, finden sich manchmal nur als Beiwerk oder Hintergrund auf den historischen Aufnahmen. Doch im heutigen Bochum werden sie aufgrund ihrer Präsenz zu dominierenden Orientierungssymbolen.

>>> Infos zu Buch und Autor

Ralf Stremmel: „Industrie und Fotografie: Der Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation“. Der Autor ist Leiter des Historischen Archivs Krupp in Essen und Professor für Geschichte an der Ruhr-Uni.

Das Buch erscheint im Aschendorff Verlag Münster (29,95 Euro).