Beim WAZ-Nachtforum erzählt Tanja Müller, wie sie unter ihrer Epilepsie gelitten hat. Seit einer OP in Langendreer sind die Anfälle verschwunden

  • Beim WAZ-Nachtforum im Knappschaftskrankenhaus in Langendreer ging es um Epilepsie
  • Eine junge Frau berichtet, wie sie darunter gelitten hat. Seit der Operation hat sie keine Anfälle mehr
  • Sie ist eine von jährlich 25 bis 30 Epilepsie-Patienten, denen die Hirn-Chirurgie der Uni-Klinik Heilung verheißt

„Es ist wieder alles gerade im Leben!“, sagt Tanja Müller und strahlt. Seit einem Jahr ist die Rheinländerin von ihrer Epilepsie erlöst. Endlich anfallsfrei. Endlich angstfrei. Endlich so befreit, um vor 170 WAZ-Lesern in Langendreer über ihre Krankheit zu berichten.

Die Diagnose und Behandlung von epileptischen Anfällen stand am Donnerstag im Blickpunkt des WAZ-Nachtforums im Knappschaftskrankenhaus. Mit warmherzigem Applaus bedachten die Besucher die Medizinische Fachangestellte, die eine fast 20-jährige Leidenszeit hinter sich hat.

Schmatzen, Herzrasen, Apathie

Als Kind wird Tanja Müller von den ersten Anfällen heimgesucht. Schmatzen, Herzrasen, starrer Blick, Apathie: Die Attacken kommen unvermittelt, führen für ein, zwei Minuten zum völligen Kontrollverlust. Anfangs glauben die Ärzte an eine Zuckerallergie. Erst die Uni-Klinik Köln erkennt: Tanja ist Epileptikerin; gepeinigt und bloßgestellt von „Kurzschlüssen im Sicherungskasten Gehirn“, wie es Prof. Dr. Jörg Wellmer, Leiter der Ruhr-Epileptologie am Knappschaftskrankenhaus, umschreibt.

Es soll noch Jahre dauern, bis sie in Bochum Hilfe findet. Zunächst versuchen es die Mediziner in Köln mit Medikamenten. Doch die wirken zunehmend schwächer. In der Schule erträgt sie Situationen, die für jedes Kind, für jeden Teenager ein Albtraum sind: „Die Lehrer hatten bei meinen Anfällen Panik.“ Schlimmer: „Die Mitschüler machten sich über mich lustig.“

Sie zieht sich zurück. Bleibt daheim, wenn die Freunde abends in die Disko gehen. „Ich musste ja jederzeit mit einem Anfall rechnen.“ Als die Arzneien gar nicht mehr helfen, als sie sich „fast komplett aus dem Leben zurückgezogen hat“, stellt sie sich 2015 in Langendreer vor. Jörg Wellmer und sein Team brauchen eine Woche, um nach Langzeit-EEG und Videoüberwachung optimistisch zu sein: Ihre Fehlfunktionen im Oberstübchen sind zu korrigieren.

Die damals 21-Jährige ist eine von jährlich 25 bis 30 Epilepsie-Patienten, denen die Hirn-Chirurgie der Uni-Klinik Heilung verheißt. Der Eingriff erfolgt im April 2016. Die Neurologen leisten filigrane Millimeterarbeit. Sie leisten ganze Arbeit. Tanja Müller wird zwar noch ein halbes Jahr von heftigen Kopfschmerzen geplagt. „Die epileptischen Anfälle sind seit der OP aber verschwunden“, berichtete sie beim WAZ-Forum im Gespräch mit Oberarzt Dr. Tim Wehner.

Seit einem Jahr ohne Anfälle

Derzeit steht sie kurz davor, das zweite von einst drei Medikamenten abzusetzen („eines will ich zur Sicherheit weiter einnehmen“). Beruflich geht’s bergauf. Im Herbst will sie endlich beginnen, ihren Führerschein zu machen. Das ist Epilepsie-Patienten erst erlaubt, wenn sie seit einem Jahr ohne Anfälle sind. Für Jörg Wellmer ist Tanja Müller der herausragende Beweis, dass eine Epilepsie nicht nur mit Medikamenten in Schach gehalten, sondern immer häufiger mit einer OP geheilt werden kann. Die heute 23-Jährige hat die Spirale des Leidens verlassen. Endlich ist „wieder alles gerade im Leben“.

<<<FACHARZT: BEI EPILEPSIEN WIRD ZU SELTEN OPERIERT

Sozialer Rückzug, Traumatisierung, kein Führerschein, geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt: „Epilepsien sind für Patienten wie auch für Angehörige extrem belastend“, sagte Prof. Dr. Jörg Wellmer, Leiter der Ruhr-Epileptologie, am Donnerstag beim WAZ-Nachtforum im Knappschaftskrankenhaus.

Entscheidend sei die richtige Diagnose. Immerhin könnten die Anfälle auch von anderen Erkrankungen, etwa Herzschwäche, Tumor oder Schlaganfall, herrühren. Das Spektrum der Attacken sei „riesengroß“. Treten sie erstmals auf, sei es sinnvoll, sie mit dem Handy zu filmen. Das macht es dem Hausarzt und gegebenenfalls Neurologen einfacher. Wellmer: „Nicht jeder, der fällt und zuckt, hat eine Epilepsie. Nicht jeder Epileptiker muss fallen und zucken.“

Bis zu 90 Prozent der Eingriffe führen zu einer dauerhaften Anfallsfreiheit

Profundes Fachwissen und eine spezielle, hochauflösende Kernspin-Tomographie liefern den Experten Aufschluss über Art und Ursache der Krampfanfälle. Medikamente versprechen für Jahre, meist Jahrzehnte Linderung. Dabei könnte eine Hirn-Operation der Krankheit deutlich häufiger für immer den Garaus machen. Bis zu 90 Prozent der Eingriffe führten zu einer dauerhaften Anfallsfreiheit, schilderte Hirnchirurg Dr. Marec von Lehe. Die Kassen zahlten „anstandslos“ die bis zu 40 000 Euro teuren Eingriffe. „Das Problem ist nur, dass viele Neurologen die OP noch immer als letztes Mittel bei einer Epilepsie betrachten.“

Auch wenn es bei Arzneien bleibt, könnten Epileptikerinnen durchaus schwanger werden. „Heutzutage stehen zahlreiche Medikamente zur Verfügung, die auf bestimmte Lebenssituation zugeschnitten sind – für Schwangere ebenso wie für Senioren“, versicherte Dr. Wenke Grönheit, Oberärztin der Ruhr-Epileptologie.