Bochum. . Der Bochumer Hauptbahnhof ist für die Fahrgäste sicher. Das betont die Bundespolizei, die ihr Personal allerdings deutlich reduzieren musste.
- Die Bundespolizei musste ihr Personal im Bochumer Hauptbahnhof deutlich reduzieren
- Die Fahrgäste dürften sich dennoch sicher fühlen, betont Inspektionsleiter Sven Srol
- Die Zahl der Diebstähle und Körperverletzungen ging im vergangenen Jahr deutlich zurück
Wer sich um seine Sicherheit im Hauptbahnhof sorgt, sollte die Wache der Bundespolizei meiden. „Guten Tag“, grüßen Michael Karwat und Mark Sowinski an ihren Schreibtischen. Zwei Beamte. Täglich 50 000 Fahrgäste. Ob ihre Kollegen gerade Streife gehen? „Welche Kollegen?“ Das Duo hält allein die Stellung. Wenn es denn vor Ort ist. Schließlich zählen Hattingen und Witten mit zum Einsatzgebiet.
Anders als in anderen Revierstädten macht die Polizei in Bochum keine Schwerpunkte der Kriminalität aus. Als Brennpunkt gilt der Hauptbahnhof gleichwohl.
Wenn es irgendwo in unserer Stadt gefährlich ist, dann hier.
Spärliche Zweier-Besetzung
Umso erstaunlicher ist die spärliche Zweier-Besetzung. „Wir mussten einiges an Personal zur Unterstützung abgeben: nach Süddeutschland, zur Sicherung der Grenzen und Flughäfen Frankfurt und München“, erklärt der Inspektionsleiter der Bundespolizei, Sven Srol (50). Folge: Bochum müsse mit seinem Hbf der Gefahren-„Kategorie 2“ (hinter Dortmund und Essen) nicht nur mit einer erheblich geschrumpften Mannschaft auskommen. „Die traurige Wirklichkeit ist auch, dass wir es nicht mehr schaffen, die Wache rund um die Uhr zu besetzen“, sagt Srol.
Hat das Auswirkungen auf die Sicherheit? Na ja, mutmaßt der Chef, natürlich bedeute eine sichtbare Polizei immer auch ein Maß an Abschreckung. Die Statistik jedoch zeige: Niemand müsse mehr Angst als früher haben, Opfer eines Angriffs oder Diebstahls zu werden.
– 184 Fahrgäste wurden 2016 im oder am Bahnhof bestohlen: ein Rückgang um fast ein Drittel im Vergleich zu 2015. Geklaut werden meist Geldbörsen, Handys und Taschen. „Oft sind durchreisende Banden am Werk. Es wird aber weniger. Unsere eigene Fahndungsgruppe wird immer erfolgreicher“, erklärt Srol. Auch die Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften der Bahn klappe „immer besser“. Raubüberfälle seien im Bahnhof inzwischen extrem selten. Sechs Delikte weist die Jahresbilanz aus.
Kaum Gefahr für Fahrgäste
– 61 Körperverletzungen wurden 2016 angezeigt. So gut wie nie treffe es unbeteiligte Fahrgäste, betont die Bundespolizei. Fast immer gehe es um Schlägereien zwischen Fußballfans oder Betrunkenen (das Bermuda-Dreieck ist nahe).
– Sexuelle Belästigungen weist die Statistik nicht aus. „Es gibt nur vereinzelte, meist harmlosere Fälle“, schildert Srol. „Und die ereignen sich fast immer in den Zügen.“
„Unter Kontrolle“ habe man die Drogen- und Obdachlosenszene, die sich am Hintereingang des Bahnhofs am Buddenbergplatz trifft. Es gilt eine Art Stillhalteabkommen. Ebenso wie mit den Junkies, Punkern und Stadtstreichern, die sich vor dem Haupteingang aufhalten. Man kennt sich, man grüßt sich. Solange Bahnkunden nicht gestört werden (was so gut wie nie vorkomme), werde die Szene zwar beobachtet, aber toleriert.
Der Bahnhof als Kriminalitätsschwerpunkt? Die Zahlen der Bundespolizei schwächen die Einschätzung des Polizeipräsidiums deutlich ab. Michael Karwat und Mark Sowinski haben eh einen anderen Schwerpunkt. Nach dem WAZ-Gespräch gehen sie in der Halle auf Streife. „Für viele ist es schon beruhigend, uns zu sehen.“
>>>>>Der Bochumer Hauptbahnhof als „Angstraum“? Das sehen die meisten Pendler anders
In dieser Woche haben wir viel über Gefahren, vermeintliche und tatsächliche, geschrieben. Doch was sagen die, die im Hauptbahnhof unterwegs sind? Wirkt dieser Ort auf sie besonders bedrohlich?
„Sehr unsicher“ fühlt sich eine 66-jährige Bochumerin im Bahnhof. Regelmäßig begleiten sie und ihr Mann daher die 30-jährige Tochter bis zum Gleis, wenn diese mit dem Zug verreist. Etwas passiert sei bisher zwar noch nie, sagt die Frau. Aber erst neulich habe sie beobachtet, wie ein Mann die wartenden Bahnkunden regelrecht taxiert und nach deren Gepäck Ausschau gehalten habe. Der Sicherheitsdienst der Bahn sei ihrem Hinweis allerdings nicht nachgegangen. Namentlich zitiert werden möchte die Dame nicht, aus Angst: Auch in ihrer Wohngegend fühlt sie sich nicht mehr sicher. Doch sie bleibt an diesem Tag eine Ausnahme: Die meisten Bahnhofsbesucher teilen derartige Ängste nicht.
„Es wurde viel getan in den letzten Jahren“, meint Detlef Berghäuser. „Am Bahnhof und in den Zügen ist mehr Personal unterwegs. So fühlt man sich mittlerweile sehr sicher.“ Als Vielfahrer kennt der 56-Jährige den Hauptbahnhof zu jeder Tageszeit. „Natürlich sollte man auf sein Gepäck aufpassen, aber das mache ich sowieso.“
Heike Sondermann findet den Bochumer Bahnhof „ok, vor allem im direkten Vergleich mit dem Dortmunder Hauptbahnhof“, den die 56-Jährige abends nach 20 Uhr nicht mehr aufsuchen möchte. „Hier sind andere Leute unterwegs als in Dortmund. Die Drogenszene ist recht friedlich und auch nur hinter dem Bahnhof präsent.“
Auch Yannick Müller (22)ist fast jeden Tag im Bahnhof. Die Durchsagen, in denen vor Trickdieben gewarnt wird, seien ihm aufgefallen. „Aber ich habe noch nie mitbekommen, dass etwas passiert ist – ich fühle mich sehr sicher.“
Jacqueline Sievers ist zum ersten Mal im Bochumer Bahnhof. Ihr Eindruck: „Gerade wirkt das alles sehr entspannt hier.“ Generell fühle sie sich an Bahnhöfen nicht unsicherer als anderswo in einer Stadt, sagt die 26-Jährige. „Aber am liebsten ist es mir trotzdem, wenn ich nicht allein unterwegs bin.“ (gls)
Kommentar von Jürgen Stahl: Ängste ernst nehmen
Alles nur Einbildung, Fehleinschätzung, gar Hysterie? Die Angst vieler Menschen vor Einbruch, Raub und Diebstahl erscheint unbegründet, wenn man die nackten Zahlen der Polizei dagegen hält. Und sitzt doch tief. Das zeigen die Leserreaktionen in der WAZ-Themenwoche nachhaltig.
Wie kann das sein? In Zeiten, in denen die Bilanzen der Ordnungshüter nicht weniger, sondern mehr Sicherheit verheißen? Die Antwort klingt banal: Weil die Bürger den Statistiken keinen Glauben schenken. Sie verlassen sich auf ihre ureigene Wahrnehmung. Und die spiegelt eine andere Wahrheit wider. Die von der diffusen Furcht vor „Fremden“. Vom Gefühl der Schutz- und Hilflosigkeit. Befeuert von immer neuen Schlagzeilen über immer neue Gewalttaten, die in den sozialen Medien besonders reißerisch daherkommen.
Aufklären, ohne zu verharmlosen
Was tun? Für die Medien: aufklären, ohne zu verharmlosen, berichten, ohne zu dramatisieren. Für die Polizei: Präsenz zeigen, mehr Beamte auf die Straßen, in die Bahnhöfe bringen. Her mit dem „Schutzmann“ alter Prägung! Es wäre ein erster Schritt, der Furcht vieler Bochumer zu begegnen.