Bochum. . Vor knapp 30 Jahren eröffnete Wolfgang Stabe sein Waffengeschäft. Seit eineinhalb Jahren erlebt er eine ungewöhnliche hohe Nachfrage.

  • Waffenhändler Wolfgang Stabe beobachtet eine starke Nachfrage nach Selbstschutzwaffen
  • Rettungssanitäter fragen nach Stichschutzwesten, Seniorinnen nach Gaspistolen
  • Die Anträge für einen Kleinen Waffenschein haben sich in Bochum 2016 verzehnfacht

Es soll ein besonderes Hochzeitsgeschenk sein, das die junge Frau für ihren Verlobten besorgen will. Für die goldene Brauning-Pistole aus einer limitierten Auflage ist sie extra aus Bonn nach Wattenscheid gereist. Nur 5000 Exemplare der Schreckschusswaffe gibt es in Deutschland. Damit soll ihr Mann sie empfangen, wenn sie am Hochzeitstag aus dem Haus kommt – so ist es in der Türkei Brauch. „Haben Sie auch goldenes Geschenkpapier?“, fragt sie Wolfgang Stabe.

Der 60-Jährige eröffnete vor knapp 30 Jahren seinen Waffenhandel auf der Bochumer Straße. Seit eineinhalb Jahren boomt das Geschäft. „Die Leute haben Angst. Das fördert den Verkauf“, sagt Stabe. In seiner „Stabe! Company“ hängen Luftgewehre an den Wänden, in Vitrinen an der Theke liegen kleinere Schreckschusswaffen. Die mehrfachverglasten Schaufenster sind mit dicken Eisenstangen geschützt. Durch die massive Eingangstür kommt nur, wer klingelt. Über allem wacht die Heilige Barbara, unter anderem Schutzpatronin der Büchsenmacher und Waffenschmiede.

Kunden fühlen sich nicht mehr sicher

Extrawünsche wie die goldene Brauning erlebt Wolfgang Stabe eher selten. Die meisten Kunden kommen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. „Da steht ein gestandener Mann vor Ihnen und erkundigt sich nach Selbstschutzwaffen“, wundert sich Stabe. „Das ist erschreckend.“ Oder der Rettungssanitäter, der sich privat eine Stichschutzweste anschafft, weil er Angst vor Angriffen bei der Arbeit hat. Die gibt es extra in weißer Farbe, damit sie sich nicht von der Dienstkleidung abhebt. Oder die über 70-Jährige, die sich vor zwei Übergriffen auf dem Friedhof mit einem Pfefferspray gewehrt hat und nun doch meint, eine Gaspistole zu brauchen.

Im vergangenen Jahr hat sich in Bochum die Zahl der Anträge für einen Kleinen Waffenschein mehr als verzehnfacht. Der Schein erlaubt das grundsätzliche Mitführen einer Gas- oder Schreckschusspistole. Auch ohne die Erlaubnis dürfen solche Waffen gekauft, aber nur auf privaten Grundstücken genutzt werden. Die Bochumer Polizei sieht diese Entwicklung „mit Besorgnis“. Und auch Matthias Böhm äußert sich kritisch. Der Jäger ist heute zum ersten Mal in Stabes Geschäft, er braucht Munition für sein Jagdgewehr. „Man muss mit einer Waffe umgehen können“, gibt er zu bedenken. „Wer es wirklich auf Sie abgesehen hat, weiß, dass Sie keine scharfe Waffe tragen.“

Waffengesetz in Deutschland funktioniert

Wolfgang Stabe sieht das anders: „Jeder braucht das. Es geht nicht mehr ohne.“ Seine 26-jährige Tochter Katharina steht jeden Tag mit ihrem Vater im Geschäft. Sie ist gelernte Waffenhändlerin und Pyrotechnikerin. Eine Waffe hat sie immer bei sich, ziehen musste sie sie noch nie. Von Elektroschockern zum Selbstschutz hält sie nichts, „dafür muss man zu nah an den Körper des Täters heran“. Aber Pfefferspray, das könne helfen. Auch das hat sie immer griffbereit in der Jackentasche.

Das Pfefferspray hat Katharina Stabe immer griffbereit in ihrer Tasche.
Das Pfefferspray hat Katharina Stabe immer griffbereit in ihrer Tasche. © Ingo Otto

Das deutsche Waffengesetz hält Wolfgang Stabe für richtig. Daran geschraubt werden dürfe aber nicht – wie in Holland, wo schon das Benutzen von Pfefferspray nicht erlaubt ist. Stabe ist sich sicher: „Wenn wir das weiter regulieren, geht der Trend zu illegalen Waffen. Jeder muss das Recht haben, sich legal zu verteidigen.“

Für die junge Frau mit der goldenen Brauning spielt Selbstschutz beim Kauf keine Rolle: Ihr Mann soll die Pistole nach der Hochzeit gut verschlossen in den Schrank räumen.

Immer mehr Bürger beantragen einen Waffenschein

Was Waffenhändler Wolfgang Stabe in seinem Geschäft im Kleinen beobachtet, spiegelt sich auch in den offiziellen Zahlen wieder: Im Jahr 2016 beantragten 2403 Bürger in Bochum, Herne und Witten einen Kleinen Waffenschein. 2236 Anträge genehmigte die Polizei. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 gab es 220 Genehmigungen.

Für dieses Jahr deutet sich nun ein leichter Rückgang an: Im Januar wurden 171 Anträge gestellt, im Februar 128 und im März 104. „Glücklicherweise gehen die Anmeldezahlen wieder zurück“, sagt Polizeisprecher Jens Artschwager. Der kleine Waffenschein löse aus Polizeisicht nur eine „Scheinsicherheit“ aus, weil es wahrscheinlich sei, dass sich das Opfer selbst verletzt. „Wir als Polizei raten vom kleinen Waffenschein ab.“

Alarmanlagen werden immer beliebter

Auch Sicherheitstechnik wie Alarmanlagen und Kamera-Überwachung werden seit einigen Jahren immer beliebter.

Einigermaßen gesättigt scheint der Markt hingegen, was Sicherheitsfachkräfte angeht. Es gebe kaum Nachfrage nach entsprechenden Kräften, teilt eine Sprecherin der Arbeitsagentur mit. „Aktuell suchen im Agenturbezirk Bochum drei Arbeitgeber nach neun Mitarbeitern im Bereich Wachschutz und Pförtner. Bewerber dazu sind vorhanden.“ Eine leichte Einstellungswelle habe es zwar in Verbindung mit dem Aufbau von Flüchtlingsheimen gegeben. Personal sei dafür aber vor allem in Süddeutschland gesucht worden.

>>>> Furcht vor Verbrechen nimmt zu

In einer Langzeitstudie untersuchen Kriminologen der RUB unter der Leitung von Prof. Thomas Feltes das Sicherheitsgefühl von Bochumer Bürgern. Auffällig ist: Die Befragten haben weitaus mehr Angst vor Verbrechen, als sie laut offizieller Statistik haben müssten.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass sich die Menschen so unsicher fühlen?

Seit den 1990er Jahren geht die Kriminologie davon aus, dass die unter dem Stichwort Verbrechensfurcht gemessenen Ängste der Bürger zu einem erheblichen Teil allgemeine Lebensängste infolge gesellschaftlicher Veränderungen ausdrücken.

Die Bürger haben das Gefühl, dass die Welt aus den Fugen gerät. Das beginnt mit dem Flüchtlingsstrom und der Wahrnehmung der Globalisierung. Hinzu kommt die Situation mit der EU, die Finanzkrise insgesamt, einschließlich der unsicheren Altersversorgung.

Wer ist besonders ängstlich – und warum?

Einigkeit besteht darüber, dass Frauen eine höhere Verbrechensfurcht haben als Männer. Erste Auswertungen unserer 2016 in Bochum durchgeführten Studie zeigen, dass alte Menschen deutlich seltener Opfer einer Straftat werden als jüngere. Sie halten es aber für wahrscheinlicher als jüngere Menschen, in den kommenden zwölf Monaten Opfer einer Straftat zu werden.

Wie beeinflussen Medien die Verbrechensfurcht?

Tatsächlich vergeht ja kein Tag, an dem nicht über Einbrüche in den Medien berichtet wird. Vor allem aber entsteht in Verbindung mit der ständigen Thematisierung dieses Problems durch die Politik der Eindruck eines massiven Problems. Dabei hatten wir vor 15 Jahren deutlich mehr Einbrüche als heute. Viele Politiker nutzen dieses Thema aktuell zur Profilierung – leider zu Lasten des Sicherheitsgefühls der Menschen. (gls)