Werne. . „Wo wohnen Sie?“ – „Im Deutschen Reich.“ Dieser Wortwechsel ist nur in Werne möglich. Hier, so klärt uns Google auf, existiert die einzige Straße in Deutschland namens Deutsches Reich. Deren Bewohnern ist die altertümliche, mitunter missverständliche Adresse herzlich egal. Hier lebt es sich ruhig und friedlich. Und die Nachbarschaft funktioniert.
„Wo wohnen Sie?“ – „Im Deutschen Reich.“ Dieser Wortwechsel ist nur in Werne möglich. Hier, so klärt uns Google auf, existiert die einzige Straße in Deutschland namens Deutsches Reich. Deren Bewohnern ist die altertümliche, mitunter missverständliche Adresse herzlich egal. Hier lebt es sich ruhig und friedlich. Und die Nachbarschaft funktioniert.
Bogestra benannte Haltestelle um
Werner Hellweg, bei Elektro Büttner scharf abbiegen: Hier beginnt das Deutsche Reich. Wohlmeinende Gutmenschen haben in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik geübt und Assoziationen mit der Nazi-Barbarei angestellt. Wer sich halbwegs in der Geschichte auskennt, weiß zwar: Das „Deutsche Reich“ steht für das deutsche Kaiserreich (1871 bis 1918) und für die pluralistisch geprägte Demokratie der Weimarer Republik (1919 bis 1933). Es steht aber eben auch für die Diktatur im Nationalsozialmus, als „Drittes Reich“ verherrlicht, millionenfach mit Mord und Unterdrückung besudelt.
Die Bogestra hatte schnell reagiert und die nahe Haltestelle in Werne-Mitte umbenannt. „Nächster Halt: Deutsches Reich“ hat sich wohl nicht ganz passend angehört. . . Die politischen Gremien in Bochum sperrten sich stets gegen eine Umbenennung.
Sie verweisen auf die völlig unpolitische Geschichte der Siedlung, die ins Jahr 1875 zurückreicht. „Deutsches Reich“: So hieß die Kumpel-Kolonie, die die Harpener Bergbau AG seinerzeit für ihre Arbeiter und Angestellten der Werner Schachtanlage (später Robert Müser) errichten ließ. „Der Ursprung des Namens wird in einer Zusammenfassung der vielen Herkunftsgebiete seiner Bewohner oder in der zeitnahen Reichsgründung durch Bismarck vermutet“, heißt es auf einem der Hinweisschilder, die vor Jahren auf Beschluss der Bezirksvertretung angebracht wurden, um Missverständnisse auszuräumen.
Eine andere Deutung geht davon aus, dass der Name gewählt wurde, weil in dieser Siedlung Menschen wohnten, die Mitte des 19. Jahrhunderts aus vielen Gebieten des Deutschen Reiches ins Ruhrgebiet und auch nach Werne kamen. Die Industrialisierung mit ihren abertausend Arbeitsplätzen versprach Lohn & Brot für die oftmals verarmte Landbevölkerung, die vor allen aus den Ostprovinzen ins „schwarze Revier“ zog.
Deutschtümelei, gar Nationalismus wird beim Gang über die Straße auf keinem Meter offenbar. So außergewöhnlich der Name, so bodenständig und im besten Sinne durchschnittlich sind die Menschen, die hier zuhause sind. Ein Anwohner, der namenlos bleiben will, erwähnt „einen alten, ewiggestrigen Opa, der vor Jahren nur hier hergezogen ist, um ,im Deutschen Reich zu wohnen’, wie er oft und gerne tönte. Der ist aber längst tot.“
Lauter nette, offene Menschen
Ansonsten: Lauter nette, offene, entspannte Menschen, die die WAZ-Reporter auf der U-förmigen Straße mit Schweiffortsatz herzlich begrüßen.
Das Deutsche Reich ist eine sehr gute Wohnlage. Beschaulich, aber doch zentral – und deshalb auch alles andere als preisgünstig. Diesen Platz haben längst auch Häuslebauer für sich entdeckt. Immer mehr der alten Zechenhäuser sind in den letzten Jahren abgerissen worden. Es gibt immer mehr Neubauten.
Auch der weitere Weg durch das Deutsche Reich verströmt Heimeligkeit, Geborgenheit, Zufriedenheit. Die Eingangstüren der schmucken Eigenheime: liebevoll dekoriert. Die Vorgärten: aufwendig bepflanzt und geschmückt. Dann geht’s von der stillen Nebenstraße auch schon wieder zurück auf den geschäftigen Werner Hellweg. Das Deutsche Reich liegt hinter uns.