Wenn die Temperaturen sinken, trifft das Wohnungslose besonders hart.Auch wenn ausreichend Unterkünfte vorhanden sind, landen Menschen manchmal auf der Straße

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BLICKPUNKT OBDACHLOSIGKEITAus müden Augen blickt der groß gewachsene Mann die Tische entlang, bis er ein bekanntes Gesicht sieht. Mit einem großen Rucksack schiebt er sich durch die Reihen. Sein langes Haar hängt strähnig herab. Drumherum reden und essen Menschen jeden Alters, einige blicken ins Leere. Mittagszeit in der Bochumer Suppenküche.

Hier haben sich alle versammelt, für die ein normales Mittagessen nicht finanzierbar ist. Viele Obdachlose, aber auch ALG-II-Empfänger wie Horst (Name von der Red. geändert). Während ein stark alkoholisierter Mann nach einer zweiten Portion krakeelt, erzählt der 51-Jährige seine Lebensgeschichte: Wie der Ex-Bergmann und umgeschulte Maler plötzlich Asthma bekam und seitdem arbeitslos ist. Wütend schimpft er auf das System und die Politik, über seine Armut, gestikuliert, schreit. Er hat Angst. Davor, von der Gesellschaft völlig abgehängt zu werden, davor, obdachlos zu werden. Einen Freund hat es jetzt erwischt, als dessen Frau ihn hinauswarf.

Täglich ernährt die Suppenküche für symbolische 50 Cent etwa 160 Menschen. Zur Wärmestube immer mittwochs kommen je nach Witterung 80 bis 100 Bedürftige. Zu essen gibt es dann nur wenig, dafür eine kurze Flucht aus der Kälte der Straße.

Wer friert, schläft notfalls auch in einer Zelle. "Manche Obdachlose sind täglich bei uns", sagt Michael Bloch, Sprecher der Bochumer Polizei. Meist, weil sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Aber auch auf der bloßen Suche nach einem warmen Platz.

Dass Menschen ohne Wohnung im Winter potenziell in Lebensgefahr schweben, verdeutlicht Dr. Steffen Hering, leitender Oberarzt der medizinischen Klinik I am Bergmannsheil. Zehn bis 15 Fälle von schweren Unterkühlungen behandelt das Krankenhaus jedes Jahr. Alkohol, der die Gefäße öffnet und ein Auskühlen des Körpers beschleunigt, ist dabei fast immer im Spiel. "Das Erschöpfungsstadium wird schneller erreicht, das Bewusstsein getrübt, der Mensch schläft und stirbt womöglich", sagt Hering. Akute Lebensgefahr besteht bei einer Körpertemperatur von unter 28 Grad.

An Wohnraum und Notunterkünften fehlt es in Bochum nicht. Aber es gibt immer wieder Situationen, in denen jemand plötzlich seine Unterkunft und damit den Boden unter den Füßen verliert, zum Beispiel nach einer Scheidung. "Wenn Bezugspunkte verloren gehen, bricht oft ein gesamtes System zusammen", sagt Gerlinde Fruisting von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie. Die Flucht in Alkohol und Drogen endet mitunter auf der Straße.

Wegen der entspannten Lage am Wohnungsmarkt hat die Stadt ihre Obdachlosen-Wohnheime an Zillertal- und Hansastraße aufgegeben. 69 Menschen leben derzeit in der verbliebenen Einrichtung an der Stockumer Straße. Nicht ohne gewaltsame Konflikte untereinander.

Die Prävention von Zwangsräumungen, damit niemand erst das Dach über dem Kopf verliert, rückt bei der Arbeit des Sozialamts weiter in den Vordergrund. Noch bevor es zu richterlichen Entscheidungen kommt, soll Betroffenen durch Schuldnerberatung und Zuschüsse geholfen werden. Die Stadt kooperiert dafür mit Trägern wie Innere Mission, Diakonie, Caritas, Kirchen und Vereinen.