Bochum.. Quer durch die Bank setzt lokale Wirtschaft auch künftig auf freien Handel. Arbeitgeber sehen Gefahr für britisches Eigentor.
Großbritannien macht Ernst mit dem Brexit und löst dabei ein Beben aus, dessen Auswirkungen bis in die Firmen vor Ort spürbar sind. Dabei sind die konkreten Folgen noch gar nicht greifbar, da niemand so genau weiß, wie künftig der Handel aussieht, zwischen einzelnen EU-Unternehmen und dem Inselstaat. „Der freie Handel muss auf jeden Fall nach dem Brexit erhalten bleiben“, sagt Gerhard Reese, geschäftsführender Gesellschafter der mittelständischen Härterei Reese.
Das Unternehmen hatte früher ausgedehnte Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien etwa zu Unternehmen in die alte Stahlstadt Sheffield, doch dies habe sich seit einigen Jahren reduziert. Trotzdem ist der Mittelständler mit seinen rund 250 Beschäftigten auf den freien Warenaustausch angewiesen. Zu seinen Kunden gehören große Maschinenbauunternehmen, für die Werkstücke, vom Zahnrad bis zum großen Schmiedeteil, gehärtet werden.
Bedauern bei einigen Geschäftspartnern
Reese berichtet allerdings, dass „unsere heutigen Geschäftspartner in Großbritannien den Brexit-Entscheid sehr bedauert haben“. Dabei hat der Maschinenbauingenieur durchaus Verständnis für gewisse EU-skeptische Haltungen, etwa, wenn es um bestimmte Auswüchse der Brüsseler-Bürokratie geht.
Ein Bespiel sei die „CE-Kennzeichnungspflicht“. Wenn etwa ältere Maschinen ohne CE-Zeichen in eine andere Halle versetzt werden, müsse ein Gutachter für eine sogenannte Einzelabnahme kommen. Und dies bedeute einen nicht zu unterschätzenden Papierkram. „Einige dieser Regelungen sind für mich nicht nachvollziehbar“, so Reese.
Anfragen haben zugenommen
Derweil stimmt die Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet in Bochum (IHK) ihre Mitgliedsunternehmen schon einmal auf verschiedene Szenarien für die Zeit nach dem Auszug der Briten aus dem EU-Binnenmarkt ein. Hans-Peter Merz kümmert sich bei der IHK als Leiter der Abteilung International um diese Thematik. In den letzten Wochen, so berichtet er, hätten die Anfragen von Mitarbeitern, die sich in den Firmen mit Außenhandel beschäftigen, zugenommen.
Er sagt voraus: „All das, was jetzt die Vorzüge des Handels innerhalb der EU ausmacht, wird mit archaischer Wucht wieder auf die Schreibtische der Sachbearbeiter in den deutschen Unternehmen poltern und furchtbar viel Arbeit erzeugen, die leider so gar nicht wertschöpfend ist.“ Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen merkt an, dass der Brexit einen harten Schlag bedeute, dies jedoch vor allem für die Briten selbst.
Arbeitgeber verbreiten Gelassenheit
Innerhalb der in Bochum beheimateten Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, denen immerhin rund 430 Mitgliedsfirmen aus der Region mit etwa 77 000 Beschäftigten angehören, verbreitet Hauptgeschäftsführer Erlhöfer ganz deutlich die Devise „Gelassenheit“.
„Natürlich pflegen einzelne Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu britschen Zulieferern oder Kunden. Ob, und wenn ja, wie diese Beziehungen aufrecht erhalten werden können, muss im Einzelfall entschieden werden.“
Ob und wie etwa die an der Wittener Straße liegende Europazentrale des BP-Konzerns, die natürlich aus London gesteuert werde, betroffen sei, könne nicht gesagt werden. Erlhöfer wiederholt dabei das Mantra, dass „der freie Warenverkehr natürlich nicht unterbrochen werden dürfe“. Für ein neues Freihandelsabkommen müsse Rest-Europa natürlich Verhandlungen mit Großbritannien aufnehmen.
Viel Arbeit kommt auf Firmen zu
Wie die Handelswelt ganz konkret vor Ort unter dem Brexit zu leiden habe kann der Spezialist für internationalen Handel bei der IHK, Hans-Peter Merz, schon gut vorhersagen. „Da kommt auf die Firmen, viel, viel Arbeit zu.“
Ein Beispiel: Unternehmen, die Waren künftig nach Großbritannien ausführen, müssen sehr genau die Vorgaben und Bedingungen sogenannter Warenverkehrsbescheinigungen beachten.
Merz: „Das erfordert sorgfältige Bearbeitungen. Denn bei Nichtbeachtung versteht die Zollfahndung keinen Spaß.“ Es drohten empfindliche Strafen.
Unternehmen müssen etwa akribisch nachweisen, wo genau die Vormaterialien für ein bestimmtes Produkt stammen. Dabei sind bestimmte prozentuale Anteile zu beachten. All das, was derzeit die Vorzüge des Handels innerhalb der EU ausmache, ändere sich. Für Merz stellt sich konkret die Frage, wie sich ein Brexit nun auf die Exportanstrengungen für die Unternehmen in dieser Region auswirken könne. Dabei sind mögliche Schutzzölle als Abschottungsinstrument nur eines der Themen. Die IHK sieht genug gute Gründe dafür, dass sich deutsche Produkte – auch aus dieser Region – in Zukunft in Großbritannien gut verkaufen. „Qualität zum einen und die Abwesenheit inländischer Konkurrenz zum andere. Beides wird sich so schnell nicht ändern. Und die (Zoll-)Rechnung zahlt am Ende sowieso der britische Verbraucher“. erläutert der IHK-Außenhandelsexperte. Für ihn ist klar, dass Großbritannien, selbst wenn es dies wolle, die deutschen Exporte nicht auf die Schnelle ersetzen können werde.
Preise für Importgüter steigen
Der jetzt angekündigte harte Brexit, da ist sich auch Dirk W. Erlhöfer sicher, bedeute für die Briten etliche negative Auswirkungen. Das Pfund stehe unter Abwertungsdruck. „Das heißt, die Preise für Importgüter steigern weiter, auch Auslandsreisen werden teurer.“ Außerdem dürfte die britische Bevölkerung aber auch die auf Importe angewiesenen Unternehmen dies ganz konkret zu spüren bekommen.
Er könne nur empfehlen, dass die EU zeitig in die konkreten Brexitverhandlungen einsteigen müsse und dabei bloß keine „Rosinenpickerei“ zulassen dürfe.