Heinrich von Kleists Klassiker „Michael Kohlhaas“ hat in über 200 Jahren nichts an Überzeitlichkeit verloren. Verhandelt wird der Fall des Rosshändlers Kohlhaas, der sich übervorteilt sieht, und – weil er auf sein Recht nicht verzichten will – blutig Rache nimmt. In Bochum ist die Novelle zurzeit zweimal als Bühnenfassung zu sehen. Das Prinzregenttheater hatte vorgelegt, am Freitag zog das Theater Rottstraße 5 nach. Und wie!

Heinrich von Kleists Klassiker „Michael Kohlhaas“ hat in über 200 Jahren nichts an Überzeitlichkeit verloren. Verhandelt wird der Fall des Rosshändlers Kohlhaas, der sich übervorteilt sieht, und – weil er auf sein Recht nicht verzichten will – blutig Rache nimmt. In Bochum ist die Novelle zurzeit zweimal als Bühnenfassung zu sehen. Das Prinzregenttheater hatte vorgelegt, am Freitag zog das Theater Rottstraße 5 nach. Und wie!

Leise absurde Grundstimmung

Hier heißt der Abend einfach „Kohlhaas“, kann sein, dass damit kompakt auf eine „Marke“ der Literaturgeschichte verwiesen wird, kann sein, dass Regisseurin Therese Dörr so auf ihre komprimierte Spielfassung abstellt. Das Schlagwort passt aber auf jeden Fall. Denn „Kohlhaas“ ist Schauspieler Marco Massafra, der die komplexe Geschichte sozusagen im scharfen Galopp liefert und alle(s) mitreißt. 20 Rollen? Kein Problem!

Dörrs Regiedebüt kommt mit Hochtisch, Hocker und Laptop als Requisiten aus; das sparsame Setting hätte früher gut in eine Beckett-Aufführung gepasst. Überhaupt ist eine leise absurde Grundstimmung durchgehend wahrnehmbar, auch weil dieser Rottstraße 5-Kohlhaas wie einst Krapp in „Das letzt Band“ allein mit sich und seinen Gedanken ist, und man am Ende nicht wirklich weiß, was wahr und was Einbildung gewesen sein könnte.

Massafra hält diesen Schwebezustand beständig aufrecht. Mal denkt man, er rekapituliere die bekannte Kleist-Geschichte bloß, dann wieder erweckt er noch die kleinste Nebenfigur so plastisch zum Leben, dass man niemals zweifeln würde, dass all das, was da an Schrecken ausgebreitet wird, wahr und wahrhaftig wäre. Aber dann sitzt er einen Augenblick später wieder am Laptop, klickt sich durch Bilder und Videos, nuckelt an einem Softdrink und versenkt die Flasche im Müllsack in der Ecke – der quillt vor Flaschen über. Wie oft mag dieser Kohlhaas diese seine Story also schon gedacht, sich ausgedacht, erzählt haben?

Die Vorstellung läuft 90 Minuten und schwächelt nicht eine Sekunde. Beschlossen wird sie stimmungsvoll mit der alten Dire Straits-Nummer „Brothers In Arms“, sehr elegisch, sehr nachdenklich: „We have just one world/but we live in different ones“.

Das von Therese Dörr und Marco Massafra beschworene Kleist/Kohlhaas’sche Gefühl unabänderlicher Welt-Verlorenheit klingt auf dem Heimweg lang nach.