Gerd Lichtenberger vom Jugendhilfeprojekt "Life" hält von Erziehungscamps für jugendliche Intensivstraftäter überhaupt nichts: Er plädiert stattdessen für individuell-pädagogische Maßnahmen
Zur Debatte um Erziehungscamps für jugendliche Intensivtäter hat der Bochumer Erziehungsexperte Gerd Lichtenberger (56) eine klare Meinung. Er hält von den Camps überhaupt nichts: "Für mich ist das eine Akademie der Kriminellen. Da gibt man nur den Druck von oben nach unten durch. Das ist Anpassungspädagogik in Reinstform. Das funktioniert bei den Jugendlichen nur so lange, wie sie im Camp sind."
Lichtenberger, einst Lehrer und Leiter des ev. Kinderheims Overdyck in Bochum, hat vor 15 Jahren die Einrichtung "Life" als GmbH gegründet und kümmert sich seitdem um verhaltensauffällige Jugendliche. Und weil er ein entschiedener Verfechter einer individualpädagogischen Betreuung ist, bekommt er beim Thema Erziehungscamp einen besonders dicken Hals.
"Wenn ich im Camp lerne, Drill nach unten weiterzugeben und dass sich der Stärkere durchsetzt, trage ich das auch nach draußen. Aber draußen im selbstbestimmten Leben funktioniert das nicht."
Ein "individualpädagogisches Zugehen" sei da ungleich erfolgreicher. Sein "Life"-Projekt funktioniert so: Der oder die Jugendliche erhält einen persönlichen Betreuer, lebt etwa in dessen Familie, im Schnitt anderthalb Jahre lang. Über 80 Mitarbeiter habe "Life" inzwischen.
Diese "Eins-zu-eins-Betreuung" habe sich bewährt. Nicht selten seien Schul- und Ausbildungsabschlüsse drin. Einrichtungen wie die seine, so Lichtenberger, gebe es in Deutschland an die hundert. Die Klientel wird ihnen von Jugendämtern aus der ganzen Republik anvertraut. "Life" hat sich bisher um 347 Jugendliche gekümmert. Zur Zeit sind 43 im Inland untergekommen, 29 im Ausland.
Es seien "stark verhaltensauffällige Jugendliche, die meist auch straffällig wurden," schildert der "Life"-Geschäftsführer. "Die sind genauso gewaltbejahend wie Jugendliche vor 15 Jahren." Damals lag das ihr Durchschnittsalter bei 17, heute liege es bei 14 Jahren, und sie hätten "alle Gruselig-keiten hinter sich, die Eltern mit ihren Kindern anstellen - von Vernachlässigung bis zum sexuellen Missbrauch". Alle Mädchen, die bei "Life" landen, seien zuvor sexuell missbraucht worden. Eine therapeutische Begleitung sei für die Traumatisierten unabdingbar: "Ohne die Unterstützung von Kinder- und Jugendpsychiatern würde ich mich an viele Fälle nicht rantrauen."
Auch Lichtenberger lebt mit Rückschlägen: 30 Prozent der Jugendlichen würden die Maßnahme nach drei, vier Monaten abbrechen, wurden straffällig trotz Bewährung. Als einer von ihnen vor Jahren in Chile eine Lederjacke klaute und ins Gefängnis musste, geriet "Life" ins Zwielicht. Aber dass 70 Prozent durchhalten, sei eine "riesige Erfolgsquote". Und danach? - Über 50 Prozent dieser Jugendlichen blieben auch anderthalb Jahre nach der Maßnahme stabil, ermittelte 2007 eine Studie des Fachverbandes A.I.M. in Köln, die in 355 Fällen nachhakte.
Seit fünf Jahren kümmert sich "Life" auch um kleine Kinder: Man versucht die Eltern in ihrer "Erziehungskompetenz" zu stärken, damit die Kinder in den Familien bleiben können und ihre Sozialkontakte behalten. Dafür hält das Jugendamt sechs Ambulanzzentren bereit, das in Wattenscheid wird von "Life" geleitet. Kommentar 2. Lokalseite