Bochum. Bereits 14 Menschen sind seit Jahresbeginn an den Folgen ihrer Drogensucht gestorben. Die Fachleute der Krisenhilfe suchen jetzt nach Lösungen. Eine könnte sein, den Nutzerkreis des Drogenkonsumraumes zu erweitern.
Eine deutliche Zunahme der Zahl der Drogentoten in Bochum alarmiert die Krisenhilfe. Bis zum Mittwoch starben 13 Männer und Frauen an den Folgen ihres Drogenkonsums. Kurz nach einem Gespräch in der Drogenberatungsstelle der Krisenhilfe musste Geschäftsführer Friedhelm Lemm einen weiteren Toten melden: Ein 27-jähriger Mann starb am Donnerstag an einer Überdosis in seiner Bochumer Wohnung. Der 14. Drogentote in diesem Jahr.
„Wir haben das Gefühl, dass das noch längst nicht alles ist”, sagt Urs Köthner von der Krisenhilfe besorgt. Die Betroffenen werden älter und leiden an Krankheiten, die auch infolge des langjährigen Drogenkonsums entstanden sind.
Mit dem Drogenkonsumraum sank die Zahl zunächst
Nachdem mit der Einführung des Drogenkonsumraumes an der Viktoriastraße die Zahlen zunächst deutlich nach unten gingen, wurde dies zum Teil mit dem Erfolg dieser Einrichtung begründet. Wie beunruhigend die Entwicklung ist, zeigen die Zahlen der vergangenen zehn Jahre. Bis auf drei Ausnahmen lag die Zahl der Drogentoten für Bochum stets unter zehn.
Unter den bis zu 4000 Abhängigen harter Drogen wie Heroin in Bochum kursierte schnell das Gerücht, es liege am Stoff. Nach Auskunft des Leiters des Rauschgiftkommissariates, Jürgen Leimanzik, liegen der Polizei dafür jedoch keinerlei Erkenntnisse vor. Sichergestelltes Rauschgift werde in Polizeilabors untersucht, so dass eine Veränderung in der Zusammensetzung auffallen würde.
Für die Krisenhilfe kommt bei dieser Entwicklung noch hinzu, dass durch den gedeckelten Stadthaushalt Finanzierungsprobleme auftreten könnten. Vor drei Wochen gab es von der Stadt einen Änderungsbescheid: Mittel in Höhe von 100 000 Euro, immerhin zehn Prozent des städtischen Zuschusses, sollen noch in diesem Jahr gekürzt werden. „Das verschlechtert unsere Situation und hat fatale Auswirkungen auf unsere Arbeit”, so Lemm.
Tod am Rand des Bermudadreiecks
Nur wenige hundert Meter abseits des Bermudadreiecks, direkt neben der Riffhalle, fanden Bauarbeiter am 6. August den 28-jährigen Vitali. Es muss für die Männer ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Der Tote lag schon mehr als zwei Wochen dort und war in die Verwesung übergegangen. Ringsumher verstreut auf diesem Gelände liegen benutzte Spritzen, in einer ehemaligen Garage haben sich Drogenabhängige ein Nachtlager eingerichtet.
Niemand weiß genau, wann Vitali, der 1999 aus Russland nach Bochum kam, gestorben ist. Fest steht allerdings: Am 18. Juli musste er eine Entzugstherapie abbrechen, wegen eines Rückfalls heißt es. Die Therapie hatte er antreten müssen, eine Auflage des Gerichtes, Therapie statt Strafe nennt sich das. „Ich kannte ihn aus unserem Café. Er war ein agiler junger Mann, der immer auf seinen Inlinern in der Stadt unterwegs war”, erinnert sich Urs Köthner, Sozialarbeiter der Drogenberatung.
Obwohl es mit der Therapie nicht geklappt hatte, wandte er sich wieder an die Krisenhilfe. „Er wollte raus aus der Szene”, so Köthner. Dafür hatte er Gründe. Zuhause warteten seine beiden kleinen Töchter auf ihren Vater. Auch seine Frau wollte ihm noch einmal eine Chance geben. Irgendwann kurz nach diesem 18. Juli muss es passiert sein. Zwar steht das endgültige Obduktionsergebnis noch aus. Es besteht jedoch der dringende Verdacht, dass er an einer Überdosis starb.
Unbemerkt von den Partygängern vor den Büschen setzen sich hier täglich geschätzte 15 Süchtige, Männer und Frauen, ihren Schuss Heroin. Für manche ist es das letzte Mal. Am 3. August starb nur wenige Meter entfernt ein 31-jähriger Bochumer. „Atem-Depression”, nennen die Fachleute den Tod, den das Rauschgift bringt.
Die Polizei patroulliert, kann aber nicht überall sein
Die Polizei kennt natürlich diese Ecken und schickt immer mal wieder Streifen in die Gegend. Doch die Suche der Abhängigen nach einem stillen Platz ist meist stärker als die Angst vor der Polizei: „Wir dulden in Bochum keine offene Drogenszene. Jegliche Rauschgiftstraftaten werden von uns konsequent verfolgt.” sagt Jürgen Leimanzik. Doch obwohl das Rauschgiftkommissariat in Bochum recht gut besetzt sei, kann man nicht ständig überall sein. Wenn dann, wie vor einiger Zeit geschehen, doch ein größerer Drogenhändler den Fahndern ins Netz geht, einer, der den Bochumer Markt mit mehreren Kilo Heroin versorgt hatte, gibt es sofort Unruhe. „Das spüren wir hier, doch der nächste Händler springt schnell ein, denn die Nachfrage ist da”, so Köthner.
Angesichts der steigenden Zahlen von Drogentoten in diesem Jahr suchen die Fachleute nach Lösungsmöglichkeiten. Als ein Weg wird von den Drogenberatern die Erweiterung des Nutzerkreises des Drogenkonsumraumes angesehen. Bislang sind etwa Abhängige, die derzeit mit einem Ersatzstoff wie Methadon behandelt werden, ausgeschlossen. Mit unterstützt von insgesamt neun Anbietern solcher Räume wandte sich die Krisenhilfe ans NRW-Gesundheitsministerium. Fast schon ein Hilferuf.
Das Ministerium antwortete knapp und lehnte ab: „Eine ausdrückliche Zulassung von Substituierten in Drogenkonsumräumen würde zudem den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen für eine erfolgreiche Subistutionsbehandlung widersprechen”, heißt es in dem Schreiben zur Begründung.