Bochum. . Das Spektrum reicht von der experimentellen Lyrik bis zu Kino-Geschichten aus dem Ruhrgebiet. Rainer W. Campmann beschreibt das Leben aus der Nahsicht

Im Bochumer Bücherherbst lassen sich wieder viele Neu-Entdeckungen machen. Die WAZ stellt einige lesenswerte Veröffentlichungen aus heimischen Gefilden vor.

Starcke & Starcke

Eine Lücke hat der überraschende Tod von Michael Starcke im Frühjahr hinterlassen; der Lyriker zählte zu den eindrücklichsten literarischen Stimmen hierzulande. Nun ist das Buch „Zwillinge“ erschienen, das die Erinnerung an den Poeten wachhält. Es enthält neben Gedichten von Michael Starcke Bilder seine Zwillingsbruders Peter Starcke. Der Dialog zwischen Text und Bild vermittelt dem Leser eine menschliche Verbindlichkeit, die über die familiären Bande hinausreicht (Elif Verlag, 15 Euro).

Campmanns „Brüche“

Rainer W. Campmann hat mit „Brüche oder Die Welt in den Novemberkeiten“ ein Werk vorgelegt, das scheinbar gut zu den bevorstehenden dunklen Herbsttagen zu passen scheint. Campmann erzählt in einer klaren, gleichwohl bewegenden Sprache von Menschen unserer Zeit, nicht von Glücksrittern und Traumtänzern, aber von enttäuschten Hoffnungen und sozialer Verrohung, von schmerzhaften Häutungen und schlimmen Verletzungen, von Krankheit und Tod, aber auch vom kuriosen Glück des Scheiterns. Versammelt sind 38 Erzählungen, Stimmungsbilder, Dichtungen über die Schattenseiten des Lebens, die nicht „auf einen Rutsch“ weggelesen, sondern nach und nach erschlossen sein wollen. Erst dann eröffnet sich neben Campmanns humanistischem Blick auch sein Sinn für hintergründigen Humor. Sprache erfasst hier die unmittelbare Welt um uns herum (Brockmeyer Verlag, 17,90 Euro).

Poeme treffen Grafik

Ein kunstvolles Buch ist der Band „ruhreinw/ärts/verdichtet“, und das in zweifacher Hinsicht. Neben experimentell anmutenden Gedichten von Artur Nickel setzen Grafiken von Susanne Bloch kraftvoll Akzente. Die sparsam orchestrierten Poeme („halden/verwaist/straßen/geleert/handy gewirr/schwebt über/den wolken/ein erinnertes/ich“) setzen sich mit den Veränderungen auseinander, denen das Ruhrgebiet nach dem Wegsterben der Industrie ausgesetzt bleibt. Der Zerfall des Alten bedeutet für den Dichter aber nicht den Zerfall des Literarischen, im Gegenteil. Die Suche nach einer „neuen Sprache“ fürs Revier wird zur Aufgabe, der Nickel sich stellt (Geest-Verlag, 14,80 Euro).

Zeit im Kino

Entschieden unterhaltsamer geht es in Friedrichs Wessels „Jede Menge Kino“ zu – hier werden Filmgeschichten aus dem Ruhrgebiet erzählt. Das wilde, rauchende Revier war bis zum Ende der 70er Jahre in Kinofilmen meist Kulisse für traurige bis tragische Themen. Hauptdarsteller waren Zechen und Stahlwerke, Malocher und Vorgesetzte, mit Unglücken unter und über Tage sowie ab und an der Fußball. Die noblen Filmgäste verließen unsere so unglamouröse Gegend in der Regel fluchtartig, wenn sie ihre Auftritte erledigt hatten. Mit dem Film „Die Abfahrer“ von Adolf Winkelmann (1978) entwickelte sich so etwas wie „cineastisches Selbstbewusstsein“. Wessel zeichnet die Geschichte des Revier-Films nach, auch Bochum ist als Drehort für Tana Schanzaras letzten Film „Ein Dichter in der Familie“ prominent vertreten (Verlag henselowsky Boschmann, 9,90 Euro).