Bochum. . Ein Teil der entlassenen Citibank-Belegschaft hat 1998 ein Callcenter-Dienstleistungsunternehmen gegründet. Die einst alternative Firma wächst.

Geht das? Sich in einer Branche zu etablieren und dabei wesentliche Grundsätze dieser Branche zu missachten. Anders zu sein und trotzdem wirtschaftlich erfolgreich.

Das muss gehen, sagen sie sich bei Tekomedia und treten seit 18 Jahren erfolgreich den Beweis an – Krisenzeiten inklusive. So lange gibt es den Callcenter-Dienstleister, der 1998 aus der an der Königsallee beheimateten Citibank-Tochter Citifonds-Banking hervorgegangen ist und an dessen Anfang nur ein einziges Ziel stand: „Wir wollten das politisch Richtige tun“, erinnert sich Hannes Oberlindober (53).

Der Tekomedia-Geschäftsführer war Betriebsrat, als es hieß, ihr Betrieb werde geschlossen und nach Duisburg verlegt. 430 Leute mussten gehen. Dass sie, die den Callcenter-Pionier mit aufgebaut hatten, sich nach zehnjähriger Tätigkeit hinterherbewerben sollten, hat viele verärgert. „Dann haben wir gesagt, wir sind Callcenter-Agenten der ersten Stunde. Niemand versteht dieses Geschäft so gut wie wir.“ Also haben sie es selbst gemacht. 73 Frauen und Männer steckten einen Teil ihrer Abfindung in das neue Firmenprojekt. 100 000 Mark, mit denen sie beweisen wollten: Wir können es auch anders.

Zwei der Gründer: Thomas Kurhofer (l.) und Hannes Oberlindober.
Zwei der Gründer: Thomas Kurhofer (l.) und Hannes Oberlindober. © FUNKE Foto Services

Dass es nicht schon am Anfang schief ging, lag an einem glücklichen Zufall. Hätte nicht jener Stadtwerke-Mitarbeiter in einem Aktenstapel ein Tekomedia-Angebot gefunden und den ersten Auftrag der Firmengeschichte eingeleitet, wäre die Firma mit ihren drei unentgeltlich arbeitenden Angestellten wohl schon nach gut einem halben Jahr gescheitert. „So geht der Mythos“, sagt Mitgründer und Projektleiter Thomas Kurhofer (53) ein wenig belustigt. Nicht alles bierernst zu nehmen, gehört zum Arbeitsalltag.

Regionale Identität

Was keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit zulässt, mit der sie bei Tekomedia ihre Aufträge erledigen. Der beste Beweis dafür mag sein, dass der erste Kunde überhaupt, die Stadtwerke Bochum, immer noch Vertragspartner sind. Überhaupt hat sich Tekomedia spezialisiert auf Dienstleistungen für die Energie- und Entsorgungsbranche, mittlerweile auch für Zeitarbeit und Banking – und das alles ausschließlich in der Rhein-Ruhr-Region. Sie sind überzeugt, dass es für regionale Kunden, die regionale Identität schaffen wollen, von größter Wichtigkeit ist, dass ihre Dienstleister aus der Region kommen und eben diese Identität repräsentieren.

MEIN JOB: Einsatzplaner

Ein paar Tage mussten sie ohne den Mann mit der Mütze auskommen. Dennis Hahn (36) war bei der Star-Wars-Convention in London. „Das ist ein Pflichtprogramm für mich“, bekennt der glühende Fan. Und natürlich hat den Urlaub für nächstes Jahr schon angemeldet. Die weltweit größte Star-Wars-Messe wird dann in Florida ausgetragen. Da darf er nicht fehlen.

Wahl-Bochumer ist der 36-Jährige, der aus seiner Heimatstadt Bremerhaven und über seinen Studienort Göttingen ins Revier gekommen ist. Vor zweieinhalb Jahren hat er bei Tekomedia begonnen und sich als Callcenter-Agent vom Teilzeit- zum Vollzeitbeschäftigten hochgearbeitet. Mittlerweile ist der gelernte Mediengestalter für die Einsatzplanung zuständig und arbeitet der Geschäftsführung zu. Ein Karriereweg, der nicht unüblich ist im Haus.

Was er am meisten schätzt? „Hier wird auf einer sympathischen und persönlichen Ebene gearbeitet. „Das Arbeitsklima ist unvergleichlich.“ Sein Credo als Planer: „Ich versuche die Leute so einzusetzen, wie ich gerne selbst eingesetzt worden wäre.“ Das klappt oft – auch für die Nachtschichten, die nicht Jedermanns Sache sind, aber die einige Kollegen schätzen.

Die Tage, in denen ihnen ein geradezu revolutionärer Geist nachgesagt wird, sind lange vorbei. Und in vielen Bereich tickt Tekomedia kaum anders als viele andere Unternehmen, die Basisdemokratie von einst ist einer gewissen Hierarchie – wenn auch einer möglichst flachen – gewichen. Es gibt Nachtschichten und klassische Schulungen.

Als anders empfinden sie sich gleichwohl immer noch. „Wir haben uns zu Zeiten der Citibank als Betriebsräte wie ein kleines gallisches Dorf empfunden, umgeben von befestigten Römerlagern. Und im Prinzip hat sich unsere Situation gar nicht so sehr geändert“, sagt Hannes Oberlindober.

Anders als die Konkurrenz

Kein schlechter Vergleich angesichts vieler Konkurrenten mit drei- bis vierstelligen Mitarbeiterzahlen. Ganz anders, so die Gründer, sei vor allem die Arbeitsweise in ihrem Haus. „Wir unterscheiden uns von Mitbewerbern dadurch, dass wir nicht vorgeben, mit welcher Wortwahl und Intonation unsere Leute sprechen, und dann noch entlang eines Skripts. Wir sagen, sprecht in eurer eigenen Sprache.“ Das sei authentisch, stehe für Vielfalt und werden von den Auftraggebern geschätzt. Nicht zuletzt deshalb sei die Fluktuation unter der Belegschaft gering – auch wenn der Stundenlohn mit 9,20 Euro nur knapp über dem Mindestlohn liegt.

Rund um die Kortum-Treppe werden nicht viele Grenzen gesetzt  

„Fünfte Etage, Feinkost“. Dort, wohin die Fahrstuhlführer einst die kulinarisch interessierte Kortum-Kundschaft beförderte, stehen heute Schreibtische und Computer, der Raum ist durch das Glasdach lichtdurchflutet. Hörbar stolz erzählt Hannes Oberlindober von der berühmten Holztreppe des Traditionskaufhauses, von der immerhin noch ein Rest erhalten geblieben ist – und genau um diesen Rest sind die Tekomedia-Geschäftsräume eingerichtet. Hier wurde für die TV-Serie „Der große Bellheim“ gedreht. Eine historische Stätte, die sie viel häufiger für Kulturveranstaltungen nutzen würden. Wenn denn die Zeit dafür bliebe. Es ist eine Herausforderung, sich mit einem relativ kleinen Unternehmen am Markt zu behaupten. Größennachteile müssen mit Kreativität kompensiert und der branchenbedingt überschaubare Lohn, der knapp am Mindestlohn entlang segelt, durch andere Anreize kompensiert werden.

Entlohnung hart am Mindestlohn

Die große Zeit der Basisdemokratie ist gewichen. „Wir sind ein bisschen normalisiert“, sagt Klaus Kabst (62), ein Mann der ersten Stunde. Aber angenehm zu arbeiten sei es immer noch bei Tekomedia, „wenn man selbst gerne initiativ ist“, wie der Teamleiter hinzufügt. „Es werden nicht viele Grenzen gesetzt.“

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Ein Plus für die Belegschaft sei außerdem, so Geschäftsführer Oberlindober, dass die gut ausgebildeten Kräfte nicht selten in den Fokus der eigenen Kundschaft gerät – die ihnen besser dotierte Jobs mit Entwicklungsmöglichkeiten anbieten können. Ein Umstand, den die Geschäftsführung nicht als Manko begreift, eher sogar als das Gegenteil: „Wer hier länger arbeitet, der hat Möglichkeiten, im Markt der Energieversorgungsunternehmen auf eine deutlich bessere Position zu wechseln.“ Es sei eine Option für potenzielle Mitarbeiter.

Und die suchen sie oben im Kortumhaus über den Dächern der Stadt momentan wieder. Die allerwichtigste Anforderung: „Was jeder mitbringen muss, der für uns arbeitet, sind vor allem sprachliche Fähigkeiten“, sagt der Geschäftsführer. „Zehn Vollzeitstellen können wir bestimmt neu besetzen“; weil Bestandskunden ihren Auftragsumfang erweitert haben und es erstmals seit dem Aus der Citibank wieder einen Banking-Auftrag gibt. Tekomedia wächst und will, daraus machen die Geschäftsführer keinen Hehl, noch weiter wachsen – möglicherweise auch durch einen Zusammenschluss, vom dem andeutungsweise die Rede ist.