Bochum. Eine Woche lang leben Studenten in einer 50 Kubikmeter großen Kugel, aufgehangen in einer Häusergasse im Ehrenfeld. Privatsphäre gibt es nicht.
Schätzungen zufolge lebt in weniger als 50 Jahren die Hälfte der Erdbevölkerung in Großstädten. Wohnungsmangel ist jetzt schon ein Problem – nicht nur in Metropolen wie Berlin und Hamburg, sondern auch im Ruhrgebiet. Innovative Ideen sind gefragt – und dazu gehört auch der Mut zum Experiment. Experimente wie der Wohnballon Bloon, ein Projekt von 20 Architektur-Studenten der Hochschule Bochum. Eine Woche lang leben testweise Studenten in einer 50 Kubikmeter großen Kugel, aufgehangen in einer Häusergasse im Ehrenfeld.
„Zum Experiment gehört auch Wagemut“, sagt Student Alexander Rakow. Und Einfallsreichtum: Über eine Telefonzelle, darin Leiter und Schleuse, betritt er das schwebende Wohnzimmer – es bietet mit 15 Quadratmetern etwa die gleiche Wohnfläche wie eine übliche Studentenbude. Der Boden fühlt sich wie eine Luftmatratze an – was zum Chillen einlädt und Möbel wie Sofas oder Betten überflüssig macht. Eine Toilette ist in die Telefonzelle integriert, und eine Pumpe sorgt für frischen Sauerstoff und die nötigen Druckverhältnisse. Was fehlt: eine Küche und Privatsphäre. Die Haut des Wohnballons ist transparent.
Die Vorteile der experimentellen Wohnform: Es ist günstiger und schneller, einen Ballon aufzupumpen, als ein Haus zu bauen. Und falls es keinen Bedarf mehr gibt, lassen sich die 150 qm Kunststoff umstandslos in die Telefonzelle falten. „Ich kann mir vorstellen, dass das eine gute Lösung für Pendler sein könnte“, findet Rakow. Und für Erlebnis-Touristen: „Von da oben nimmt man die Stadt anders wahr.“
Bewunderung und Skepsis für Bloon
Passanten, die das Schauspiel an der Hugo-Schulz-Straße beobachten, schwanken zwischen Bewunderung und Skepsis. Ein Pärchen steht staunend auf der gegenüberliegenden Straßenseite: „Ich brauche schon festen Boden unter den Füßen und vier Wände“, sagt der Mann. Auch die durchsichtigen Wände missfallen ihm. Andererseits: „Heute sind wir doch eh transparent – jeder postet sein Leben bei Facebook“, sagt seine Freundin.
Damit spielen die jungen Visionäre bewusst: In den Abendstunden beleuchtet das Hildesheimer Künstler-Duo Urban Invention den Ballon mit Formen, Farben und Fotos. Die Fotos muss jeder Bloon-Bewohner selbst hochladen, um Zugang zum Ballon zu bekommen. Das Ergebnis: Hinter den privaten Fotos, die die Lichtinstallation auf die Ballonwände wirft, sieht man die Bewohner nicht mehr. Zum Schutz der Privatsphäre gibt man freiwillig Privatsphäre auf – eine intelligente künstlerische Auseinandersetzung mit dem Projekt.
Aber irgendwann gehen auch diese Lichter aus, und Alexander Rakow legt sich schlafen. Er verbringt die erste Nacht im Bloon. Und, wie schläft es sich in dieser möglichen Zukunft des Wohnens? „Die Temperatur ist angenehm, man kann den Sternenhimmel sehen, fühlt sich geborgen“, schwärmt er geradezu. Sein Fazit ist eindeutig: „überraschend großartig.“