Bochum.. Der Bochumer Schriftsteller Jan Himmelfarb wanderte als Kind mit seiner Familie aus der Ukraine aus. Momentan arbeitet er an seinem zweiten Buch.

Jan Himmelfarb spricht mit kaum wahrnehmbarem osteuropäischen Akzent, ruhig und wohlüberlegt. „Ab einem bestimmten Punkt habe ich mich gefragt, wie man sich als Jude in Deutschland mit etwas anderem als dem Holocaust beschäftigen kann“, sagt er. Ohne Bitterkeit. Er rückt seine Tasse Tee zurecht. Und seine Äußerung: „Ich fühle mich hier wohl und habe nie negative Erfahrungen gemacht.“ Jan Himmelfarb ist Schriftsteller. Den Holocaust hat er in seinem ersten Roman „Sterndeutung“ verarbeitet. Jetzt schreibt der Bochumer an seinem zweiten Buch – mit 30.

Fußballspiel mit Trinkpäckchen

Jan Himmelfarb – ein Pseudonym – gewährt in „Sterndeutung“ weit persönlichere Einblicke als seinen richtigen Namen. Parallelen zwischen seiner Familiengeschichte und dem Leben des Erzählers Arthur Segal sind unüberhörbar. Im 2015 erschienenen Roman vermischt sich Erdachtes mit eigenen Erinnerungen und Erfahrungen.

Literaturpreis Ruhr erwartet noch viel von Himmelfarb

Volker Degener, Vorstandsmitglied des NRW-Verbands deutscher Schriftsteller, über „Sterndeutung“: „Himmelfarb bedient sich einer Flut von Metaphern, formuliert anspruchsvoll.“ Das sei typisch für ein Erstlingswerk. Es sei auch ein Indiz dafür, dass Himmelfarb literarisch noch Großes vorhabe. „Ich glaube, dass wir vom Literaturpreis Ruhr uns noch oft mit ihm beschäftigen werden“, sagt Degener. Er ist Vorsitzender der Jury.

1992 kam der Schriftsteller mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland, ins Ruhrgebiet. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie er sagt, nutzte die jüdische Familie die Chance des Weges gen Westen, die durch den Mauerfall und das Ende der Sowjetunion entstanden war. Die erste Erinnerung an Deutschland? „Die Saft-Trinkpäckchen haben uns Kinder fasziniert. So etwas hatten wir noch nie gesehen“, erzählt er. Mit ihnen spielten sie auf dem Hof der Registrierungsstelle für Ost-Immigranten Fußball.

Diese Szene findet sich in „Sterndeutung“ wieder. Erzählt von Segal. Auch ihn zieht es nach Deutschland, um mehr Geld zu verdienen. Auch er kommt aus Charkow, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Auch er schreibt.

Romane spielen beide im Ruhrgebiet

Schreiben ist für Himmelfarb der Weg, den Holocaust für sich zu verarbeiten. Er beschreibt die Grausamkeiten nahezu beiläufig. Stellt so das Perfide heraus – Normalität. Die Bilder sind wohlüberlegt und präzise, ohne voyeuristisch zu sein. Segals Schreiben ist hingegen mehr ein Ventil. Er lässt die Dinge einfach heraus, sprunghaft und ungeordnet. Was sie wiederum eint, ist der Anlass zum Schreiben. Auch Segal empfand es als unvermeidlich, sich intensiv mit seiner Familiengeschichte und der Judenverfolgung zu beschäftigen.

„Sterndeutung“ spielt wie auch Himmelfarbs zweiter Roman im Ruhrgebiet. Das hat es ihm angetan. „Ich sehe das Revier als ein großes Ganzes. Es macht keinen Unterschied, ob ich in Dortmund oder Bochum ausgehe.“ Er mag vor allem die kulturelle Vielfalt: „Die Theaterlandschaft ist toll, es gibt viele Konzerte.“ Die Literaturszene sei hingegen vergleichsweise klein. „Klar ist in Berlin mehr los, aber die Stadt reizt mich nicht. Ich wüsste nicht, was ich dort anders machen würde.“ Komische Blicke von Kollegen aus der Metropole? Die hält Himmelfarb aus.

Schreiben kann er auch in Bochum. Meist früh morgens. Der Autor hat noch einen Vollzeitjob: als Projektmanager in der Industrie. „Mit 19 wusste ich, dass ich Schriftsteller werden will.“ Das Betriebswirtschaftsstudium fürs Schreiben aufzugeben, stand allerdings nie zur Debatte. Himmelfarb nimmt einen Schluck Tee. „Vielleicht war ich zu vernünftig.“ Er zögert. „Oder mir fehlte der Mut.“

„Wirklichkeit ist wie ein Malkasten“

Auf der einen Seite Pragmatiker, auf der anderen Poet – beide hört man: „Ich warte nicht auf Tage, an denen mich die Inspiration überkommt. Das können andere. Ich muss täglich an meinem Buch arbeiten, auch wenn es mal keinen Spaß macht“, sagt er. Und: „Die Wirklichkeit ist wie ein Malkasten. Meine Eindrücke sind die Farben, aus denen der Text entsteht.“

 2017, plant Himmelfarb, soll das neue Buch erscheinen. Nach „Sterndeutung“ setzt er sich nun mit etwas anderem als dem Holocaust auseinander. Gleichwohl kreist auch dieser Roman um das Erinnern. Konnte sich Arthur Segal in „Sterndeutung“ vermeintlich gar an Dinge erinnern, die ihm als Säugling widerfahren sind, geht es diesmal um eine Gedächtnislücke des Biologen Anton. Ein Klassentreffen des 30-Jährigen wird von einem Rätsel beherrscht: Dem Jungen, der in der Schulzeit verschwunden ist. Verschwunden ist er auch aus Antons Erinnerungen.

Himmelfarb blickt auf die Uhr. Der Tee ist lange leer. Vor einer halben Stunde war er verabredet.