Bochum. . Vor 17 Jahren kam Parvin Dejgahy aus dem Iran nach Deutschland. Sie ist als Wirtschaftswissenschaftlerin hoch qualifiziert, arbeitet aber als Pflegehilfskraft.
„Es fällt mir nicht leicht, Ihnen zu schreiben, da es für mich das Eingeständnis zu sein scheint, mit meiner Weisheit am Ende zu sein.“ So beginnt die E-Mail von Parvin Dejgahy an die WAZ. Ein Dokument der Rat- und Hilflosigkeit. Der Enttäuschung. Aber auch der noch wachen Hoffnung, endlich beruflich Fuß zu fassen in einer neuen Heimat, die einer hochqualifizierten Wissenschaftlerin bislang nur Hilfsjobs zu bieten hat.
Es ist 1999, als Parvin Dejgahy die islamische Republik Iran hinter sich lässt. In Teheran hat sie ihr Diplom als Wirtschaftswissenschaftlerin erworben, erste Erfahrungen in internationalen Handelsunternehmen gesammelt. Doch der Gottesstaat ist ihr zunehmend zuwider. Freiheitsliebe, Selbstverwirklichung, berufliche Erfüllung: In Deutschland sucht die Akademikerin ihr Glück.
"Hier ist jetzt mein Zuhause"
Davon ist Parvin Dejgahy 17 Jahre später noch immer weit entfernt. Dabei erfüllt sie alle Ansprüche, die gemeinhin an eine Migrantin gerichtet werden. Sie absolviert Sprachkurse (ihr Deutsch ist längst perfekt), beginnt an der Uni Dortmund ein zweites BWL-Studium (das sie 2013 abschließt), bringt es auf vier SAP-Zertifikate, besucht Office- und Bildbearbeitungs-Seminare, lernt Englisch. Zudem nimmt sie die deutsche Staatsangehörigkeit an, „um zu signalisieren: Hier ist jetzt mein Zuhause“.
Doch die ersehnte kaufmännische Anstellung bleibt ihr versagt. 350 Bewerbungen an Firmen in ganz NRW habe sie seit 2013 abgeschickt. Ergebnis: „Ich wurde zu drei Vorstellungsgesprächen eingeladen und hatte drei Telefoninterviews. Vom Rest: keine Reaktion.“
Niemals, betont sie, habe sie Geld vom Staat erhalten, sich Studium und Lebensunterhalt selbst hart verdient. Seit sechs Jahren jobbt sie halbtags als Helferin in einem Altenheim, „für 750 Euro“, mit denen sie sich gerade so über Wasser halten kann. Nicht, dass sie die Pflege als minderwertig ansieht. „Aber ich bin jetzt 49 und werde langsam verrückt bei dem Gedanken, dass all die wissenschaftlichen Qualifikationen, das lebenslange Lernen umsonst gewesen sind.“
Ohne Job keine Berufserfahrung,ohne Berufserfahrung kein Job
Die Arbeitsagentur könne ihr nicht helfen. „Dafür müsste ich erst meinen Job an den Nagel hängen. Welch ein Irrsinn.“ Wo sieht sie selbst die Ursachen für die Misere? „Ich höre immer, mir fehle die Berufserfahrung. Aber woher soll die kommen, wenn mir niemand eine Chance gibt?“ Vielleicht sei es auch ihre kleine, zarte Statur (Parvin Dejgahy ist 1,58 Meter). „Man traut mir nicht viel zu.“ Dabei würde die Hiltroperin so gut wie jeden Bürojob annehmen. „Hauptsache, ich kann kaufmännisch arbeiten.“ Denn: „Von ,uns Ausländern’ wird mit Recht Bildung und Integration verlangt. Doch wie kann es dann sein, dass ich hier offenbar nur als Hilfsarbeiterin gebraucht werde?“
Über 1400 arbeitslose Akademiker
Die Zahl der arbeitslosen Akademiker in Bochum steigt an. 1433 Frauen und Männer mit akademischem Abschluss waren Ende März ohne Beschäftigung – 155 mehr als im Vorjahr. „Grundsätzlich jedoch gilt: Je höher das Bildungsniveau desto geringer das Risiko einer dauerhaften Erwerbslosigkeit“, sagt die Sprecherin der Arbeitsagentur, Anja Greiter. Ein Universitätsabschluss, flankiert von fachspezifischen Weiterbildungen, biete nach wie vor beste Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Die Nachfrage nach Helfertätigkeiten indes nehme ab.
Ist Parvin Dejgahy somit ein Einzelfall? Als Wirtschaftswissenschaftlerin offenbar ja, eröffne gerade dieses Studium doch ein breites und auskömmliches Berufsfeld, heißt es bei der Agentur für Arbeit. Liegt es also an der Herkunft der 49-Jährigen? „Zu Nationalitäten führen wir keine Statistiken“, erklärt Anja Greiter, die Parvin Dejgahy anbietet, die Akademiker-Beratung der Agentur zu nutzen. Die WAZ wird weiter berichten.