Bochum. Das Ruhrgebiet feiert das „Jahr der Trinkhalle“. In Altenbochum gibt es eine der Buden, die zur Institution geworden sind. Willkommen bei „Bobo“!
Das „Sonntagsregal“ gleich vorn am Eingang ist gut sortiert. Katzenfutter, Konserven, Zahnbürsten, Rasierschaum, sogar Kondome: Vergessliche Zeitgenossen finden fast alles Notwendige zum Überleben nach Ladenschluss. Denn dass „Bobo“ auch sonntags öffnet, hat sich längst herumgesprochen, hier in Altenbochum, wo der Kiosk von Uwe Boretzki („Boretzki Bochum, deshalb Bobo“) und seiner Frau Erika Meindl eine Institution ist.
Dabei ist Kiosk schon rein räumlich weit untertrieben. Es ist ein begehbarer Tante-Emma-Laden, den das Ehepaar vor knapp acht Jahren an der Wittener Straße 208 übernahm. Uwe Boretzki (60), Typ Henning Krautmacher von den Höhnern mit markantem Schnauzbart, hatte zuvor als Bauunternehmer eine saftige Pleite hingelegt: „Nach einem Großauftrag gab’s kein Geld. Daran geht man als Kleinbetrieb schnell kaputt.“ Die Trinkhalle, die es – wenn früher auch nur als besseren Bretterverschlag – schon seit Jahrzehnten an dem Standort gibt, bot dem Ehepaar eine neue Berufs-, ja Lebensperspektive. „Bereut haben wir es nie, auch wenn’s nicht immer einfach war“, sagt Erika Meindl (68), Typ Mutter Beimer von der Lindenstraße mit dem Herz auf dem rechten Fleck, und lässt keinen Zweifel daran, ihr spätes Glück gefunden zu haben.
Ihre Bude: Das ist ein Mini-Supermarkt mit beachtlichem Sortiment auf gerade mal 20
Wo stehen die schönsten Buden Bochums?
2016 ist im Ruhrgebiet das „Jahr der Trinkhalle“. Anlass für die WAZ, ihre Leser zu bitten, uns mitzuteilen, wo die schönsten und urigsten Kioske stehen.
Zahlreiche Vorschläge sind bereits eingetroffen – u.a. von Monika Bieber. Sie hat uns auf „Bobo’s Trinkhalle“ in Altenbochum aufmerksam gemacht, mit der wir heute unsere Serie starten.
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Quadratmetern. Kippen, Kekse, Kaugummi, Klümpchen, Gerstenkaltschalen, heißer Kaffee für zum hier trinken: Die Kiosk-Klassiker werden in reicher Auswahl offeriert. Doch Bobo hat auch Exklusives zu bieten: eine erstaunlich üppige Weinauswahl („ein Bekannter ist Großhändler“) ebenso wie frische Eier aus dem Münsterland und eine „Nostalgie-Ecke“ mit unvergleichlichem Süßkram wie Knöterich („Dafür halten hier sogar Brummi-Fahrer an“), Violas, Silberlingen und – aktuell ausverkauft – Leckmuscheln. Die gemischte Tüte ist längst nicht nur bei Kindern unverwüstlich. Unverkäuflich ist Bobos Modellauto- und Insektensammlung, die er in Setzkästen ausstellt.
Ein Quätschken gehört dazu
Es sind meist Stammkunden, die täglich ab 6.30 Uhr (sonntags ab 9 Uhr) vor der Verkaufstheke stehen. Ein älterer Herr tritt ein. Bestellung? Überflüssig. „Zaretten und die Zeitung.“ Halt wie jeden Morgen. Dabei ist die Trinkhalle so viel mehr als eine Verkaufsstelle, wie sie amtlich heißt. Hier wird gequatscht, dass sich die alten Balken biegen. Das Du ist Amtssprache. „Wir kennen im Umkreis von 500 Metern jede, aber auch wirklich jede Krankheit. Wir kriegen hier die unglaublichsten Geschichten zu hören, traurige wie fröhliche. Glauben ’se mir: Wenn ich die alle aufschreiben würde, dat Buch wär’ ein Bestseller“, lacht Erika Meindl.
Gibt’s ein Auskommen mit dem Einkommen? „Wir können beruhigt leben“, sagt Uwe Boretzki und steckt sich im Büro im Hinterzimmer mit PC gleich neben den Bierkästen (neudeutsch würde man das wohl „Backoffice“ nennen) eine Selbstgedrehte an. Es reicht für drei Urlaube im Jahr. Zur Erholung. Gerne auf Borkum. Wenn auch nur ‘ne Woche. Im Sommer wird’s idyllisch. Vor der Bude werden Tisch und Bänke aufgestellt. „Wie in Italien“, schwärmen Gäste bei Cappu und Cola (Alkoholausschank ist, nun ja, verboten). Auch wenn das Rauschen nicht vom Mittelmeer, sondern der vielbefahrenen Wittener Straße kommt.
„Der Kiosk“, sagt Erika Meindl, „das ist unser Leben.“ Sonntagsregal inklusive. Wobei die Nothilfe auch übers Sortiment hinausgeht. Neulich brauchte jemand Bratensauce. Erika hat sie fix aus der eigenen Küche geholt. Ging aufs Haus.