Erst herrscht im Kulturmagazin Lothringen großes Gewusel, aber das ist auch kein Wunder, wenn sich 100 Fünf- und Sechstklässler um die besten Plätze im Theatersaal drängeln. Aber es dauert nicht lange, da wird es still. Das Licht verlöscht, die Vorstellung beginnt. Und mit ihr tauchen die Schulkinder ein in eine Welt, die ihnen wie den allermeisten fremd ist: die Welt der Flüchtlinge.

Gespielt wird „Grenzen-Los“, die neue Produktion des Theaters Traumbaum. Die freie Bühne besteht aus Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht, die nicht nur Schauspieler, sondern auch Stückeschreiber, Requisiteure und Kulissenbauer sind, und dazu alles, was sonst noch nötig ist für eine gelungene Vorstellung. Seit über 20 Jahren macht das agile Duo Kinder- und Jugendtheater.

Kinder stellen viele Fragen

Nun geht es um die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Warum eigentlich? Das macht die Aufführung anschaulich klar. Zunächst aber betritt Frau Schutzke die Bühne. Streng ist sie, und sitzt in einem Wachhäuschen. Ihr ist wichtig, dass ihr beschauliches „Hier“ (=Deutschland) schön beschaulich bleibt. Also passt sie auf, dass keiner von „Dort“ nach „Hier“ kommt. Aber es kommt natürlich doch jemand, Baythulla auf seiner Flucht aus Afghanistan. Er stellt Frau Schutzkes überschaubare Welt komplett auf den Kopf.

In schneller Folge, fast wie im Film, spielen Iserloh und Lambrecht in wechselnden Rollen ihre Geschichte, die viele Schrecken beinhaltet. Die Kinder erfahren, dass Baythulla fliehen musste, weil sein zehnjähriger Sohn sonst zur Miliz verschleppt worden wäre. Seinen Lehrer hatten die Rebellen schon erschossen. Nun sind Baythulla und Mustafa unterwegs. Im engen Lkw, im schrecklich vollgepackten Schiff auf dem Mittelmeer. Mit Mühe und Not können sie ihr Leben retten und entkommen. Wohin? Ins „Hier“, nach Deutschland, einem Land, in dem nicht geschossen wird, in dem es keinen Krieg gibt, in dem Kinder von ihren Lehrern in der Schule nicht geschlagen werden. Ein Paradies, also. Ist doch klar, dass deshalb so viele zu uns kommen, oder? Das muss auch die strenge Frau Schutzke am Ende einsehen.

Die Geschichte wird liebevoll, packend, mitfühlend und mit großem Einsatz von Iserloh und Lambrecht gespielt. Die Kinder folgen ihnen aufmerksam, still, konzentriert. Als das Stück vorbei ist, wird es wieder lebhaft. Die Schauspieler sprechen ihr Publikum direkt an. Habt Ihr Fragen? Ja, sicher! „Gibt es das, was wir gesehen haben wirklich“ Ja! – „Sterben wirklich Flüchtlingskinder an den Grenzen, weil sie mit Schlaftabletten ruhig gestellt werden?“ Ja. – „Habt Ihr das Stück ganz alleine geschrieben?“ Ja. – So geht es noch länger weiter. Ein Geheimnis des Traumbaum-Erfolges ist, dass Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht ihre kleinen Zuschauer ernst nehmen. Sie nicht belehren, sondern gewinnen wollen. In diesem Fall für die Einsicht, dass Fremde gar nicht mehr so fremd sind, wenn man erstmal weiß und nachempfinden kann, was sie erlebt haben.