Bochum.. Heute fast vergessen, war die Ruhr-Stickstoff AG einst eines der bedeutendsten Bochumer Unternehmen. Sie lieferte Dünger in die ganze Welt.
Wenn man am Schauspielhaus vorbei die Königsallee entlang spaziert, kommt mal als nächstes am Finanzamt Süd vorbei. Klar. Aber so klar auch wieder nicht, denn in dem Gebäude Ecke Königsallee/Christstraße saß nicht immer Vater Staat. Vielmehr ist dies die alte Verwaltung der Ruhr-Stickstoff AG; einst eines der bedeutendsten Bochumer Unternehmen.
Blick in die Stadtgeschichte
Vieles, was einmal in Bochum war, ist inzwischen vergessen. Aber manches wissen die alten Bochumer noch von früher. Und die jungen sind neugierig, es zu erfahren.Mit „Bochum historisch“ wirft die WAZ einen Blick in die Stadtgeschichte. Unter dem Motto „So sah Bochum einmal aus“ werden verschwundene und noch sichtbare Gebäude besucht.Alle bisherigen Folgen finden Sie in dieser Übersicht.Wegen des großen Anklangs, den die Reihe findet, ist „Bochum historisch“ im Herbst 2016 auch als Buch im Klartext-Verlag erschienen. ISBN: 978-3-8375-1674-6; 12,95 Euro.Übrigens: Jürgen Boebers-Süßmann, der Autor von "Bochum historisch", ist auch auf Facebook.
Heute ist die Ruhr-Stickstoff fast vergessen, obschon sich ehemalige Mitarbeiter natürlich noch gut an die Zeiten erinnern, als das Unternehmen einer der größten Düngemittel-Produzenten Europas war. Aber das ist lange her: 1952 war die Ruhr-Stickstoff aus der 1895 gegründeten Deutschen Ammoniak-Verkaufs-Vereinigung (DAVV) hervorgegangen, über mehrere Stationen kam das Unternehmen 1985 zu Norsk Hydro. Damit hörte die alte Firma auf zu existieren. Es war das Ende einer langen Geschichte.
Geschichte der Ruhr-Stickstoff reicht bis 1895 zurück
Sie begann 1895, als die DAVV von Revier-Unternehmen, die Kokerei-Nebenprodukte verarbeiteten, gegründet wurde; man wollte so den Handel und die Preise von Ammoniak-Erzeugnissen kontrollieren. Es ging um Kunstdünger, der damals im großen Stil erforscht und erstmals großflächig eingesetzt wurde. Ammoniak entsteht bei der Kokserzeugung, das Gas ist Ausgangsmaterial für die Stickstoffproduktion – und damit für die Herstellung von Kunstdünger wichtig, der die natürlichen Dünger, etwa Chile-Salpeter oder Peru-Guano, verdrängte.
Die DAVV war immer eine Vertriebsorganisation ohne eigene Produktionsanlagen, 50 Unternehmen traten ihr bei. 1952 gingen nach der Entflechtung der Montan- und Stahlindustrie aus ihr die Ruhr-Stickstoff AG, die BV-Aral AG und die Verkaufsvereinigung für Teererzeugnisse AG hervor. Es kamen goldene Zeiten, 1968 stammte rund die Hälfte (!) des Stickstoffdüngers in Deutschland von der Ruhr-Stickstoff – 4 Millionen Tonnen Düngemittel und Chemieprodukte wurden von Bochum aus vertrieben.
Gebäude-Einweihung 1956
Den wirtschaftlichen Aufschwung konnte man früh am neuen Verwaltungsbau ablesen, der 1956 bezogen wurde. Der Zweckbau, Adresse Königsallee 21, Fernruf: 69 071, stammt von Gerhard Graubner, dem Architekten des Schauspielhauses. Wer genau hinsieht, wird manche Ähnlichkeit zumal bei der Fassadengestaltung an beiden Gebäuden bemerken. Sie prägen den südlichen Stadtausgang bis heute.
1984 kaufte das Land NRW für 10,4 Millionen DM das nicht mehr benötigte Verwaltungsgebäude, neuer Mieter wurde das Finanzamt Bochum-Süd. Kaum einer, der hier mit seinen Steuerunterlagen hinkommt, weiß mehr um die Tradition und Geschichte dieses Hauses und der Ruhr-Stickstoff AG. Eine Info-Tafel wie am Schauspielhaus sucht man vergebens.