Bochum. Softwareunternehmen SCISYS baut Kontrollzentren für Satelliten und entwickelt meteorologische Anwendungssysteme. Die Firmenzentrale steht in Werne.
Raumfahrt. Das ist Cape Canaveral, Baikonur und vielleicht noch Darmstadt, wo das Europäische Raumflugkontrollzentrum sitzt. Aber Raumfahrt ist auch Bochum. Denn von hier aus, aus einer früheren Grundschule an der Borgmannstraße in Werne, beliefert ein in den 1980er Jahren gegründetes Unternehmen Organisationen, die sich mit Raumfahrt beschäftigen. So hat SCISYS etwa alle Missionen der Europäischen Weltraumagentur ESA seit 1983 unterstützt. „Wir bauen alles außer Raketen und Satelliten. Wir bauen Kontrollzentren für Satelliten, wir entwickeln Software, die irgendwo im Weltall herumfliegt, und wir entwickeln meteorologische Anwendungssysteme“, sagt Professor Dr. Klaus-G. Meng.
Der Bochumer, neben seiner Unternehmertätigkeit seit langem als Lehrbeauftragter der TU Dortmund mit der Lehre der Satellitenkommunikation und -navigation beschäftigt, hat einst die VCS Nachrichtentechnik GmbH gegründet, die seit 2007 Teil des börsennotierten englischen Mitbewerbers SCISYS ist und deren Vorsitzender der Geschäftsführung und Miteigner der 56-Jährige ist. Raumfahrt ist heute der größte Bereich im Konzern, etwa die Hälfte des Jahresumsatzes von 50 Millionen Euro werden hier erwirtschaftet. Und es ist der, in dem der Personalbedarf weiter wächst.
Frischzellenkur
Das liegt nicht nur an der Altersstruktur im Haus. „Raumfahrt ist eine Altherrenbranche“, so Meng. Viele Firmen sind schon lange dabei – ebenso wie die Technik. „Wir arbeiten jetzt sehr viel an dem Satellitennavigationssystem Galileo. Das ist Technik der 90er Jahre.“ Frischzellenkuren durch junge Software-Ingenieure können da nicht schaden. „Wir suchen weiter für den Space-Bereich“, sagt Geschäftsführerin Sandra Krewerth.
Groß geworden ist das Unternehmen indes in einer Branche, die heute nach Raumfahrt und Verteidigung nur noch das dritte und wirtschaftlich kleinste Standbein ist: Automationssysteme für den Rundfunk. Erst lieferte VCS Empfangssysteme für Wettersatelliten (Meng: „Ich kann mit Fug und Recht behaupten, wir haben das erfunden“), versorgte die Fernsehwetterstudios mit bunten Animationen und zog als erste Kunden überhaupt gleich so namhafte Unternehmen wie die ESA und die Lufthansa an Land. Und dann sollte sich seit Anfang der 1990er Jahre die Digitalisierung von Rundfunkstationen als Renner erweisen. Nachdem VCS ein Pilotprojekt des Österreichischen Rundfunks erfolgreich zu Ende gebracht hatte, „sind wir quasi erschlagen worden von Aufträgen“, erinnert sich Klaus G. Meng. Norddeutscher Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, Mitteldeutscher Rundfunk – alle ließen sich Wellen und Studios von den Bochumern digitalisieren. Kosten: 1 bis 3 Millionen Euro pro Studio. Meng: „Da haben wir sehr viel Geld verdient. Das Unternehmen ist enorm gewachsen.“
Börsengang geplatzt
Zwar folgte danach ein Tief. Aber weil sich der in dieser Zeit gefundene Geldgeber, eine WestLB-Tochter, als zuverlässiger Partner erwies und es Meng gelang, 2001 bei der größten Rundfunkanstalt der Welt, dem britischen BBC, einen Auftrag über die Digitalisierung des Hörfunkprogramms und einen Wartungsvertrag über 20 Jahre an Land zu ziehen, sah es bald wieder rosig aus. „Das war ein Auftrag, der mit einem Schlag das ganze Unternehmen saniert hat“. Und er hat die Chance eröffnet, in Ruhe einen Nachfolger für die WestLB zu finden. Bloß gut, sagt Meng heute, dass aus dem damals angedachten Börsengang („Anno 2000 hat das jeder gemacht“) nichts wurde. „Wir waren zu real. Zu der Zeit sind Unternehmen an die Börse gegangen, die nur einen Businessplan hatten und sonst nichts.“ Bei VCS war es einfach: Produkte und Produktideen gab es schon, nur keinen Plan für den Börsengang. „Das war ein echter Glücksfall. Sonst wären wir vielleicht später in größere Schwierigkeiten gekommen.“
„Ein Unternehmen muss sich permanent verändern“
Wenn der Chef zur Tür hereinkommt, dann heißt es nicht „Guten Morgen, Herr Meng“ oder „Herr Professor“. Alle sagen „hallo Klaus“ – oder so ähnlich. Jedenfalls duzen sie den Chef – vom jüngsten bis zum ältesten Mitarbeiter.
Das „Duzen“ habe etwas mit Nähe und Vertrauen zu tun und mit einer Wohlfühlatmosphäre, die sie an der Borgmannstraße schaffen wollen. Sehr flexible Arbeitszeiten, eine Kantine, Kaffee-Ecken, Massage-Angebote; ein Friseur, der ins Haus kommt. „Aber die Leute müssen natürlich auch liefern. Es muss hart gearbeitet werden“, sagt der Chef. Wohlfühlen heißt nicht Kuscheln. Die Erwartungen seien hoch, die Produkte schwierig, die Kunden anspruchsvoll. Aber genau das, davon sind sie bei SCISYS überzeugt, lässt sich am besten in einem angenehmen Arbeitsklima erfüllen.
Als ständigen Lernprozess betrachtet Klaus-G. Meng die Firmengeschichte. „Hier wird auch mal Mist gemacht. Und wir haben auch falsche Entscheidungen getroffen.“ Zwei Erkenntnisse aber hätten sich schon frühzeitig herauskristallisiert: am Boden zu bleiben trotz ökonomischer Höhenflüge. Und: „Ein Unternehmen, das auf Dauer existiert, muss sich permanent verändern, damit es auch in fünf oder zehn Jahren noch vernünftig Geschäfte machen kann.“
Längst schon entwickelt er nicht mehr selbst Elektronik oder Software, sondern sucht Unternehmen, die sich bei SCISYS integrieren lassen. 2012 wurde ein Spezialdienstleister der Raumfahrtbranche in Darmstadt gekauft. 2014 folgte ein kleines Unternehmen im englischen Leicester, das sich mit mobilen Anwendungen und Web-Programmierungen beschäftigt. Und in diesem Jahr folgte eine Beteiligung bei einem Start-up am Niederrhein. In Darmstadt kam es zwar zur Zusammenlegung der eigenen Raumfahrtkontrollabteilung mit dem gekauften Bereich. Die jungen Start-ups aber lässt SCISYS weitgehend gewähren. „Wir freuen uns, dass wir von denen etwas Spirit tanken können“, sagt Geschäftsführerin Sandra Krewerth. Aufgehen in die Firmenstrukturen sollen sie nicht. „Das ist nicht das Ziel“, erklärt Klaus Meng. „Das Ziel ist es, uns mit einer Art Frischzellenkur für die nächste Dekade fit zu machen.“ Weit kommt ein Unternehmer eben vor allem mit Weitsicht.