Bochum. . Heinrich Platt nutzt das Ende seines Berufslebens, um an der Ruhr-Universität Theaterwissenschaften zu studieren. Vater und Sohn sind Kommilitonen.
Dieser Tage begegneten sich Konstantin und Heinrich auf dem Campus. „Hallo, Sohn!“ – „Hallo, Papa!“: Die Begrüßung der beiden Kommilitonen hat Seltenheitswert. Konstantin ist 29 und steuert auf den Abschluss seines Spanisch- und Französischstudiums zu. Heinrich ist 63, Erstsemester am Institut für Theaterwissenschaften – und Konstantins Vater.
Über 42 000 Studenten hat die Ruhr-Universität (RUB). 737 von ihnen halten die Best-Ager-Fahne hoch: Frauen und Männer über 50 Jahre, die als Studierende (569) oder Gasthörer (168) in den Hörsälen sitzen (der älteste noch eingeschriebene Student ist 88 Jahre alt). Heinrich Platt zählt zu den wissbegierigen Oldies, die in aller Regel keine akademischen Karrieren mehr anstreben, sondern für den Eigenbedarf lernen. Aus Lust. Aus Liebe. Aus Leidenschaft.
Rechtsanwalt mit Autohof-Kanzlei
Der zweifache Vater hat eine übergroße Passion: die Oper. In seiner Freizeit frönt er den schönen Künsten seit 2001 als Statist am Aalto-Theater in Essen (aktuell im „Fliegenden Holländer“). Der Hauptberuf indes ließ bislang keine Zeit für die Hochkultur: Der Rechtsanwalt arbeitete 25 Jahre im Vertrieb einer Versicherung. 2010 nahm er die Arbeit als Jurist wieder auf, schaffte sich einen Wohnwagen an und unterhält auf einem Rastplatz an der A2 in Hamm-Uentrop eine mobile „Autohof-Kanzlei“ speziell für Brummi-Fahrer, die sonst kaum Zeit und Gelegenheit haben, einen Rechtsanwalt aufzusuchen.
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„Die Geschäftsidee funktioniert. Ich habe mehrere hundert Mandanten. Doch nach fünf Jahren ist es an der Zeit, andere Schwerpunkte zu setzen“, sagt Heinrich Platt. Nur noch dreimal pro Woche sitzt er im Wohnwagen. Die übrige Zeit konzentriert er sich auf sein Studium der Theaterwissenschaften, das er zum Wintersemester an der RUB aufgenommen hat.
„Es ist großartig, wissenschaftlich zu erarbeiten, was sowieso mein Hobby ist“, erzählt der Best Ager. Fachliteratur musste er sich als „Ersti“ kaum anschaffen: „Ich hab’ ja alles zuhause.“ Mittwochs ist Vorlesungstag; derzeit steht die „Geschichte der Oper“ auf dem Plan. „Mein Ding! Auch wenn der Arbeitsaufwand groß ist.“
Keine schiefen Blicke auf dem Campus
Schiefe Blicke seiner Kommilitonen will Heinrich Platt noch nicht bemerkt haben. „Warum auch? In diesem Studiengang nehme ich keinem Jüngeren den Platz weg.“ Und Sorgen, dass er später in Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt tritt, müsse sich auch niemand machen: „Ich studiere aus reiner Freude an der Sache, allein aus einem faustischen Interesse heraus.“
Ehrgeiz hat der Demnächst-Rentner (ab 1. Januar 2016) gleichwohl entwickelt. Für das Sommersemester hat er sich zusätzlich in Kunstgeschichte eingeschrieben: „Im ersten Anlauf hat’s nicht geklappt. Jetzt stehe ich ganz oben auf der Warteliste.“ Und beenden will er sein Studium mit Master und möglichst Promotion.
Das wird noch dauern. Spätere Familientreffen? Unwahrscheinlich. Sohn Konstantin hat die Uni bis dahin längst verlassen.