Bochum. .

Bochum. Martin glaubte, mit Alkohol keine Probleme zu haben. Nach Feierabend gönnte er sich zwei, drei Flaschen Bier, sonntags zum Essen kam ein guter Wein auf den Tisch und das „Verdauungsschnäpschen” hinterher.

Früher war das schon anders. Als er noch bei der Bundeswehr war, da war fast an jedem Abend „Kampftrinken” mit den Kameraden auf der Stube oder in der Kantine angesagt. Da machten alle mit, und wer sich absonderte, galt als Feigling und Außenseiter. Der wollte Martin natürlich nicht sein.

Drei Flaschen nicht genug

Als er dann ins zivile Leben zurückkehrte, reduzierte sich der Alkohlkonsum wieder. Bis auf das Feierabendbierchen und den sonntäglichen Wein. Darauf verzichten mochte er nicht, und Martin merkte auch nicht, dass er am Abend mit drei Flaschen Bier nicht mehr auskam und dass am Sonntag der Wein schon bei der Zubereitung des Essens fließen musste. Langsam aber stetig verlangte der Körper mehr von der Droge Alkohol. Er wurde unruhig und begann zu rebellieren, wenn er sein tägliches Quantum nicht bekam.

Martin war – ohne es zu registrieren – Alkoholiker geworden. Als er morgens am Arbeitsplatz auf seine „Fahne” angesprochen wurde, suchte er nach Ausreden. Wenn ihn seine Frau bat, die nächste Flasche Bier doch nicht mehr zu öffnen, ging er darüber hinweg. Er und Probleme mit Alkohol? Nein, das konnte und wollte er nicht eingestehen.

Diese Geschichte ist ein fingierter Fall. Doch es gibt viele „Martins” – zu viele. Das weiß Hermann Wittstein ganz genau, ist er doch selbst einmal ein „Martin” gewesen. Das liegt schon viele Jahre zurück. Heute kümmert sich Hermann Wittstein als Vorsitzender des Kreuzbundes um alkoholkranke Mitmenschen.

Eine Krankheit

Dabei legt Wittstein Wert auf die Feststellung, dass Alkoholismus eine Krankheit ist. Das hat das Bundessozialgericht 1968 in einem Urteil festgehalten. „Ein Urteil, das für die Selbsthilfe von großer Bedeutung ist”, sagt Hermann Wittstein. Aber nicht nur für die Selbsthilfe, sondern auch für die soziale Absicherung eines Abhängigen. Wenn er sich nämlich dazu durchgerungen hat, mit Hilfe einer nicht selten mehrmonatigen Kur abstinent zu werden, trägt der Sozialversicherungsträger die Kosten.

Schleichendes Gift

Der Kreuzbund, der in Bochum mit acht Gruppen (eine in Linden, zwei in der Stadtmitte, eine in Hamme und vier in Langendreer) vertreten ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Abhängigen und deren Familienanghörige (Co-Abhängige) zu helfen, um aus dem Teufelskreis herauszukommen. Dabei wissen Hermann Wittstein und seine Beratungshelfer in den Gruppen: „Du bis nicht von heute auf morgen Alkoholiker. Alkohol ist ein schleichendes Gift, das nach und nach die Herrschaft über Geist und Körper übernimmt.”

Die Selbsthilfegruppen können lediglich eine beratende Funktion übernehmen, Schritte aufzeigen, wie man dem „Teufel Alkohol” Paroli bieten kann, wie man über eine anerkannte Suchtberatungsstelle zu einer Entwöhnungskur kommt und – wie man letztendlich trocken bleiben kann. Dabei muss einem Abhängigen bewusst gemacht werden, dass ein Alkoholiker Zeit seines Lebens Alkoholiker bleiben wird, und dass die Rückfallgefahr immer gegeben ist. Allerdings vermindert sich das Risiko nach einer Therapie und dem anschließenden Mitwirken in einer Selbsthilfegruppe. „Hier beträgt die Rückfallquote 15 Prozent, ohne Therapie und Selbsthilfegruppe liegt sie bei 85 Prozent”, weiß Hermann Wittstein.

Aufklärungsarbeit

Alkoholkranke Menschen gibt es in allen Bevölkerungsschichten, betroffen sind Männer und Frauen. Was nicht nur den Kreuzbund-Mitgliedern massive Sorgen bereitet, ist der zunehmende Alkoholismus bei Jugendlichen. Oft werde das Jugendschutzgesetz missachtet, werde selbst hochprozentiger Alkohol an Kinder und Jugendliche ausgeschänkt und verkauft. Wie sollte es sonst auch zum „Komasaufen” kommen?

Aufklärungsarbeit tut Not. Darum haben die Kreuzbundler ein neues Projekt angepackt. Wittstein: „Ein Mitglied hat es in die Hand genommen und geht in die Schulen, um die Jugendlichen auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die mit Alkoholkonsum verbunden sind.” Und wenn ein Schock-Video von einer Frau gezeigt wird, die bei einem alkoholbedingten Verkehrsunfall schwer verletzt und körperlich entstellt wurde, dann hofft man, dass das seine Wirkung nicht verfehlt.

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