Bochum. Mit dem Ibsen-Klassiker gelingt Romy Schmidt ein so herausfordernder wie stimmiger Regie-Einstand als Intendantin am Prinz-Regent-Theater.

Es fängt mit dem Schrei an, dem allseits bekannten: „Du lügst!“, brüllt Aase ihren Sohn Peer Gynt an, Corinna Pohlmann klettert aus dem Publikum auf die Bühne, wo Peer (Helge Salnikau) sie in Empfang nimmt und gleich loslegt mit der wilden Story von seinem Ritt auf einem Bock den steilen Grat hinab.

Aber der Bock ist nur ein mit Fellstoff bezogener Bock aus der Turnhalle. Selbst wenn Aase ihrem Sohn glauben sollte, das Publikum tut es angesichts dieses skurrilen Requisits sicher nicht. Und dann ist da ja auch noch der seltsame Kahlköpfige (Ismail Deniz), der den Abend über immer wieder dazu ansetzen wird, Peers Leben zu versteigern. Während mitten auf der Bühne ein Gemälde der notgeilen Trolltochter steht, die dem Publikum die Zunge ‘rausstreckt, ätsch!

Aufführung dauert fast drei Stunden

Keine Frage: Romy Schmidts Regie-Erstling als Prinz-Regent-Intendantin ist herausfordernd; Setting und Ansatz dieses „Peer Gynts“ erscheinen zunächst wunderlich. Aber sie sind auch sehr unterhaltsam. Und sie sind stimmig. Das Spiel dauert fast drei Stunden, doch entwickelt die Aufführung eine nachdrückliche Wirksamkeit, sodass sie sich nie beeilen muss. Alles erscheint wie selbstverständlich. Voll überzeugt von dem, was sie tun, wachsen Schmidt und ihr Team (Frank Weiß/Dramaturgie, Sandra Schuck/Kostüme und Ausstattung) mal eben über sich hinaus. Großer Bühnenstoff? Sei’s drum!

Ausgedünntes Figurenkabinett

Einer der Tricks: Ibsens opulentes Figurenkabinett findet gar nicht statt, es gibt nur drei Schauspieler. Wilde Kulissen von der Trollhöhle bis zur Wüstenoase fehlen ebenfalls. Die Bühne dominiert ein Stahlgestell, auf dem Peer – Helge Salnikau zeigt ihn als hyperaktives Bürschchen – auf- und absteigt; ganz wie durch die Klüfte seines bewegten Lebens. Dazu eine Handvoll Requisiten. Alles andere findet im Kopf der Zuschauer statt.

Wenn das Leben zur Ware wird

Und: Die Kernaussage des Abends löst sich vom bekannten Selbstfindungs-Motiv des Dramas. „Der Mensch ist doch nur dem Gewinn zugekehrt“, heißt es an einer Stelle. Sein Werden und Handeln, sein Leben und Lieben werden zur Ware, die man meistbietend versteigert, aber wer der Gewinner ist, ist nicht sicher. Der Knopfgießer ist es so wenig wie Peer selbst, und seine treue Solvejg ist es auch nicht.

Am Ende singt Gloria Gaynor

Die wird ebenfalls von Corinna Pohlmann verkörpert, aber die Schauspielerin ist auch die Trolltochter und die von Peer entführte Ingrid und noch so allerhand. Pohlmann ist die Schau des Abends, ihr Spiel gerinnt zu einer Art fließender Endlosigkeit, nach der alles möglich scheint. Ismail Deniz hat es als schwerblütiger Knopfgießer/Moderator nicht leicht, gegen die pulsierend-körperbetonte Pohlmann und den quecksilbrigen Salnikau anzuspielen.

Romy Schmidts Inszenierung ist kitschig, vulgär, musikalisch, verspielt, ernsthaft und theaterwirksam, alles zusammen. Und in manchen Momenten der surrealen Filmästhetik eines David Lynch sehr nahe. Mit diesem „Peer Gynt“ ist Ibsen endgültig im 21. Jahrhundert angekommen. Und das Prinz-Regent-Theater auch.