Eine Reisetasche, eine Landkarte und zwischendurch Songs vom Smartphone: Mit diesen wenigen Requisiten gelingt es der Schauspielerin Jele Brückner, ihrer Lesung im Rottstr5-Theater Tiefe zu verleihen und nebenbei den literarischen Ansatz der Autorin Alice Munro auf den Punkt zu bringen.
In „Liebes Leben” erzählt die Literatur-Nobelpreisträgerin – mal chronologisch, mal rückwärts erlebt – Geschichten nah an ihrer eigenen Biografie in Form klug pointierter Anekdoten. Die emotionale Dimension dieser Geschichten ist vergleichbar mit einem Lieblingslied, dessen Bedeutung sich einem anderen Hörer erst durchs eigene Hören eröffnet. Brückner macht Munros Geschichten zu unaufdringlichen Lehrstücken, die mit den Unwägbarkeiten des Lebens versöhnen. Sie schafft einen atmosphärisch dichten Abend, der nicht von strategisch platzierten Effekten, sondern von der Relevanz seiner Einsichten lebt.
Die Intonation der Schauspielerin erzeugt einen Raum, in dem das Publikum die emotionalen Widersprüche der Protagonisten erleben kann. Damit schraubt Brückner Munros Texte hoch zu einer erzählerischen statt nur einer erzählten Reflexion. Beide zeigen, was sie transportieren wollen, statt es bloß zu sagen. Ein Geschenk.