Bochum. Zwei Initiativen sammeln Geld und Medikamente, um soziale Arztpraxen zu unterstützen.„Die Leute haben es nicht einfach“, sagt Christos Orkas.

Griechenland ist allgegenwärtig. Nicht nur in den Nachrichten. Auch zu Hause, auf der Arbeit, in der Freizeit beschäftigt die Krise viele Menschen. Mehr als 1200 Bochumer sind griechische Staatsbürger, viele weitere haben griechische Wurzeln oder persönliche Verbindungen zu Land und Leuten. Sie alle erwarten mit Spannung den Volksentscheid am Sonntag, wenn die Griechen über das Angebot der Geldgeber abstimmen.

Absurd ist aus Sicht von Stavros Liakeas (38), dass dabei die von der Regierungspartei Syriza favorisierte Entscheidung „Nein“ zuerst auf dem Wahlzettel steht. „Abgestimmt wird doch in der Regel über Ja oder Nein und nicht über Nein oder Ja“, sagt der Inhaber des Restaurant „Yamas“ an der Massenbergstraße. Aber nicht nur das regt ihn auf. „Schon die Fragestellung ist eine Frechheit, genauso die Zeit und die Polarisierung, die so entsteht.“ Viele Griechen seien zwiegespalten. Sie stünden sie vor der Entscheidung „zwischen Pest und Cholera.“

Die Not vieler Menschen ist groß

Das ist die politische Seite der Krise. Und aus Liakeas’ Sicht kann nur ein „Ja“, ein Rücktritt der derzeitigen Regierung und eine neue, möglichst breit angelegte Übergangsregierung einen Weg daraus weisen. Denn: „Die Not vieler Menschen ist groß.“ Sie wird in den Nachrichten gezeigt durch die Schlangen vor den Banken. „Ältere Frauen kommen aus 30 Kilometer entfernten Dörfern und stehen stundenlang an, um 50 Euro zu bekommen“, berichtet Christos Orkas (49). Der griechisch-stämmig Scout des VfL Bochum macht Urlaub auf Kos und weiß: „Die Leute hier haben es wirklich nicht einfach.“ Auch er hofft auf ein „Ja“ und erwartet eine knapp Entscheidung. „Die Chancen stehen 50 zu 50.“

Die Not ist zum Teil größer als wir sie in den Nachrichten zu sehen bekommen. „Die zeigen nur die Schlangen vor den Banken, nicht aber die vor den Suppenküchen, von denen es immer mehr gibt“, sagt Stavros Liakeas. Mehrmals im Jahr ist er in Athen, hört jeden Morgen griechische Radiosender. Er weiß, Griechenland braucht Hilfe. Milliardenkredite. Vor allem aber brauchen die Griechen Hilfe.

Ihre Solidarität haben am 9. Mai mehrere hundert Bochumer zum Ausdruck gebracht, als sie sich bei der DGB-Aktion zum 70. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Schauspielhaus und den Worten von Giorgos Chondros lauschten, eine Gründungsmitglied der Regierungspartei Syriza. An dem Tag haben sich Celine Spieker und ihre Freunde überlegt, dass sie helfen wollen. Kurzerhand gründeten sie die Hellas-Solidarität Bochum. Sie wollen nun in der westgriechischen Stadt Arta eine soziale Arztpraxis und Apotheke unterstützen.

Sozialpraxen und -krankenhäuser behandeln die mittlerweile schon 30 Prozent der Griechen, die wegen Arbeitslosigkeit und Finanznot aus der Krankenversicherung herausgefallen sind und sich keine Behandlung mehr leisten können. „Das kann man sich wie eine selbst gegründete Wohlfahrt vorstellen“, sagt Celine Spieker. Die Einrichtungen können Hilfe gut gebrauchen. 650 Euro seien bereits gesammelt worden, „ohne dass wir groß für die Aktion geworben haben“, so die 47-Jährige. Sie ist überzeugt, es kommt noch mehr Geld zusammen. Die ersten Gelder will sie demnächst persönlich in Arta übergeben.

Auch Stavros Liakeas und sein Freund Gerassimos Miaris wollen jetzt ein solches Projekt unterstützen. Sie wollen Medikamente und Geld sammeln und den in Hamburg beheimateten Förder- und Freundeskreis Elliniko e.V. unterstützen, der eine soziale Arztpraxis im Athener Stadtteil Elliniko unter die Arme greift.

Schluss mit Pauschalisierung und Vorurteilen 

Mit abstimmen am Sonntag dürften auch die in Bochum lebenden Griechen, sofern sie einen griechischen Pass besitzen. Allerdings müssten sie sich dazu an jenem Ort aufhalten, in dem sie gemeldet sind.

Wie immer die Entscheidung ausfällt, eines ist aus Sicht von Stavros Liakeas zwingend notwendig: „Es muss eine Strukturreform und eine funktionierende Verwaltung her.“ Und der Fakelaki, der in vielen Bereichen, auch im Gesundheitssystem, übliche „kleine Umschlag“, müsse verschwinden. Zumal viele Familien, die schon in der Vergangenheit Defizite im Sozialsystem aufgefangen haben, diese angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Krise kaum noch bewältigen könnten. Es werde immer schwieriger, den arbeitslosen Bruder, den kranken Vater oder andere Bedürftige mit zu versorgen.

Schluss sein müsse aber auch mit „ätzenden Pauschalisierungen“ und Vorurteilen gegenüber den Griechen. Deren Renten etwa seien meistens weniger üppig als hier kolportiert. Vor allem eines sei notwendig: gegenseitiger Respekt. „Ich möchte, dass es Verständnis gibt für beide Seiten.“ Dabei setzt Liakeas auch auf eine andere Konstellation bei den politischen Verhandlungen. Ministerpräsident Alexis Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis, die einen „fetten Auftrag von ihren Wählern bekommen haben“, so Liakeas, und auf den anderen Seite Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble oder die Troika hätten alles andere als eine gemeinsame Wellenlänge gefunden. Arroganz und Ablehnung hätten das Klima in den Gesprächen zwischen Gläubigern und Schuldnern erschwert.

Auch deshalb sei ein Wechsel, ein Neuanfang nötig, der allerdings, davon ist der Yamas-Betreiber überzeugt, auch nicht ohne einen Schuldenschnitt möglich sein wird. Aber so vertrackt die Lage auch zu sein scheint, echte Griechen sind offenbar beseelt von einem unerschütterlichen Optimismus. „Die Griechen können, wenn sie wollen“, sagt Liakeas. Damit steht er nicht allein. Christos Orkas jedenfalls ist überzeugt: „Alles wird gut.“